Hochstaplerinnen haben Hochkonjunktur

Die erfolgreichsten Blenderinnen in den sozialen Medien

In den sozialen Medien ist höfliche Zurückhaltung out. Erfolgreich sind die Dreisten: ein Plädoyer für originelle Frechheit im Stil von Caroline Calloway und Bobbi Althoff.

Hochstapelei ist nur dann verwerflich, wenn sie zu tief ansetzt. Oft genug wird aus anfänglicher Verurteilung Bewunderung. Schon allein deshalb, weil man dann endlich wieder etwas hat, worüber man sich das Maul zerreißen kann. So verhält sich das etwa mit Caroline Calloway. Die US-Amerikanerin wurde in ihrer Heimat eine Zeit lang als eine Art Königin des Internets gehandelt. Als Influencerin war sie erfolgreich, einen Buchdeal in der Höhe von einer halben Million Dollar hatte sie in der Tasche, das „The Cut“-Magazin hatte sie zum „It-Girl“ ernannt, viele große Zeitungen schrieben lange Porträts über sie. Ihr Weg dahin ist gar nicht so einfach in Worte zu fassen, weshalb Wikipedia sie wohl auch möglichst schwammig als „Internet Persona“ verzeichnet. Calloway hat quasi so lang so getan, als sei sie berühmt, bis sie es schließlich war. Aber alles noch einmal auf Anfang.

Schon während ihres Studiums an der Cambridge-Universität und noch in den frühen Zeiten von Instagram hat sich Calloway 40.000 fiktive Follower gekauft, um sich zur Influencerin hochzustilisieren. Am Campus sei sie als „Gatsby von Cambridge“ bekannt gewesen, hat viele Partys besucht, ihre Zeit in Europa inszenierte sie möglichst breitenwirksam in den sozialen Medien. Dabei habe sie schon in ihren Bewerbungsunterlagen für das Studium gelogen, ihre Noten aufgebessert, ließ sie später wissen. Ihren Instagram-Kanal, der ihr die Anzahlung für ein Buch über die Zeit in Cambridge einbrachte, ließ sie im Stillen von einer Ghostwriterin betexten. Das versprochene Buch lieferte sie allerdings nie ab und musste das Geld nach mehrfach verstrichenen Fristen rückerstatten. Das schaffte sie, indem sie Hautpflegeprodukte vertrieb und sich via OnlyFans etwas dazuverdiente, wo sie sich bezahlenden Benutzern im Aufzug berühmter Buchcharaktere wie Daisy Buchanan oder Julia Capulet oben ohne zeigte (sie nannte das dann „zerebralen Softcore-Porno“).

Steh dazu

Aus ihrer Hochstapelei ließ sie sich allerdings keinen Strick drehen, ganz im Gegenteil: Sie schlug daraus Kapital. Die Fehde mit ihrer ehemaligen Ghostwriterin Natalie Beach trug sie zum einen öffentlich in „The Cut“ aus, was beiden zusätzlich Publicity verschaffte. Diesen Sommer, drei Jahre verspätet, ist nun ihr Buch „Scammers“ – zu Deutsch: Betrüger(innen) – erschienen. Sie publizierte es selbst, ohne Lektorat, ohne Verlag, verschickte die Bücher um heiße 65 Dollar pro Stück selbst an ihre Leserinnen und Leser. In der wirren Sammlung an Essays aus ihrer Collegezeit und losen Gedanken über ihr Leben machte sie sich durchaus auch über sich selbst lustig. Und egal, wo man über Calloway las, überall hörte man ein wenig Bewunderung für so viel Dreistigkeit heraus. Eine kleine Fan-Community schaute ihr fasziniert dabei zu, wie sie sich selbst ironisierte. Da ist eine Frau, die unbedingt berühmt werden wollte und jetzt damit berühmt wurde, so zu tun, als sei sie berühmt?

Es ist die gleiche amüsierte, von Kopfschütteln begleitete Ungläubigkeit, mit der man Billy McFarland dabei zusah, wie er sein Festival auf Fyre Island so grandios wie niemand jemals vor ihm in den Sand setzte. Ehrfürchtig beugt man auch das Haupt vor der Schamlosigkeit, die Anna Delvey dabei an den Tag legte, so zu tun, als gehöre sie zu den VIPs der New Yorker Upper East Side. Zum Dank widmete ihr Netflix gleich eine ganze Serie.

Eine andere Spielart ebenjener Dreistigkeit, die momentan in den sozialen Medien bejubelt wird, legt Influencerin Bobbi Althoff an den Tag. Zwar handelt es sich hier nicht um Lug und Trug, aber dieselbe Art von Chuzpe und Schamlosigkeit, die Althoff eine Followerschaft von 2,9 Millionen Menschen auf Instagram eingetragen hat. Bekannt ist sie durch Interviews mit Prominenten geworden. Ihre Fragen formuliert Althoff dabei so unangenehm, dass es für Zuhörende teilweise schwierig wird, die Aufzeichnungen weiter anzusehen. Es ist ein eigenwilliger Interviewstil, unangenehme Pausen, trockener Humor und der teilweise unkonventionelle Rahmen zeichnen ihn aus. Rapper Drake interviewt sie etwa im Bett, den kolumbianischen Sänger Maluma interviewt sie, während sie ihr Baby stillt, Sänger Jason de Rulo in der Sauna.

Bis vergangenen April war Althoff allerdings noch eine Unbekannte. Um ihre Reichweite zu erhöhen, bot die 26-jährige zweifache Mutter aus Kalifornien jedem, der sie mit Prominenten in Verbindung bringen könnte, 300 Dollar. So entstanden Interviews mit Comedian Rick Glassman und TikToker Funny Marco. Und bald willigten prominentere Interviewpartner ein, bis sie in ihren Videos schließlich neben Drake im Bett lag und Schauspielerin Scarlett Johansson Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. Bewundernswert ist dabei nicht nur ihre Unverfrorenheit, sondern auch die steinerne Miene, die sie an den Tag legt, während ihre Interviewpartner sich sichtlich durch die Situation quälen.

In jedem dieser Fälle, sei es Althoff, sei es Calloway, Delvey oder MacFarland, geht es ganz eindeutig um Anerkennung, im besten Fall um Berühmtheit und Erfolg. Aber anders als die meisten Menschen, die sich still und heimlich wünschen, endlich anerkannt zu werden, oder höflich vorgeben, nicht an der Meinung anderer interessiert zu sein, während sie fleißig ihr Leben auf Instagram inszenieren, machen Caroline Calloway und Co. kein Hehl aus ihren oberflächlichen Ambitionen. Und das ist genau die Authentizität, die man sich im TikTok-Zeitalter erwarten darf.

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