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Serie: Zärtlicher Spott für das EU-Parlament

Torsten (Lucas Engländer) ist in der Serie der Paradedeutsche - und macht in der dritten Staffel auf „Captain Europe“.
Torsten (Lucas Engländer) ist in der Serie der Paradedeutsche - und macht in der dritten Staffel auf „Captain Europe“.WDR/Cinétévé/Studio Hamburg Serienwerft
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Die internationale Serie „Parlament“ zieht die Brüsseler Politikmaschinerie seit Jahren mit geistreichen Pointen durch den Kakao. Wie nahe ist sie an der Realität?

Drei Staffeln gibt es mittlerweile von der Serie „Parlament“, sie ist preisgekrönt und begeisterte Kritiker. Blieb aber – jedenfalls in Österreich – bisher völlig unter dem Radar. Was daran liegt, dass die französisch-belgisch-deutsche Produktion lange Zeit in einem Nischensender der ARD vor sich hindümpelte. Man mag sich gedacht haben: Das EU-Parlament mit seinem Ringen um Punkt und Beistrich, mit seinen erratischen Vorgängen ist trocken, dröge, fad. Nichts also für gute Unterhaltung. Die Serienmacher bewiesen allerdings, dass man mit Brüsseler Machtkämpfen ganz wunderbar unterhalten kann. Indem sie, ähnlich wie das die dänische Politserie „Borgen“ machte, die Politik in den Hinterzimmern zeigten. Nur mit weitaus mehr Humor, der mal messerscharf gerät, mal schräg und mal charmant, zärtlich.

Und so sieht man in der Serie, die neuerdings auf Netflix läuft, allerlei unmoralische Methoden, um Mehrheiten zu ermöglichen. Etwa wenn zwei parlamentarische Assistenten eine Abstimmung möglichst weit in den Abend hinein verzögern. Und dann den lockenden Duft deutscher Würste im Saal verbreiten, woraufhin die in der Sache kritischen Deutschen reihenweise ihre Sitze verlassen. Überhaupt, Deutschland: Das wird zu Beginn ebenso effizient wie abgedreht vom jungen Parlamentsmitarbeiter Torsten verkörpert (herrlich verschwurbelt: der geborene Wiener Lucas Engländer) wie auch furchterregend komisch von der intriganten Politikberaterin Ingeborg („Hexen haben Alpträume von ihr“: Christiane Paul). Die Serie bedient allerdings keine Stereotype, sondern leuchtet sie fröhlich aus. Die Wurst aber ist in der ersten Staffel deutschenbedingt nicht ganz unwesentlich. „Würstchen sind zum Essen da, Ingeborg ist da, damit sie bekommt, was sie möchte“, heißt es etwa lakonisch. Und, hier zitiert man Bismarck: „Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“

Das kann als Leitspruch für die Serie gelten, und gerade deshalb ist man so gerne dabei, wenn es um die Fragen der Kompromissfindung geht. Was passiert hinter den schmucklosen Türen der kühlen Gangfluchten in Brüssel? Wer stimmt aus welchen Gründen wofür – und wogegen? Da gibt es natürlich nationalistische und karrieristische Gründe, die die Pointen vorwärtstreiben. Aber auch psychologische: „Die Politik zieht gegen die Bauern immer den Kürzeren“, erläutert der Lobbyist seiner Assistentin das erwartbare Ergebnis einer Initiative. Warum, fragt sie verwundert, die Bauern würden doch nur ein Prozent der Bevölkerung ausmachen. „Na wegen der Kinderbücher“, erklärt er. Darin gehe es ständig um Postboten, Lokomotivführer und eben Bauern. „Deswegen bekommen sie auch die ganzen Förderungen.“

In der dritten Staffel wollen Samy (Xavier Lacaille) und Gesine (Martina Eitner-Acheampong) klären, welche Figuren sie auf dem Schlachtfeld sind.
In der dritten Staffel wollen Samy (Xavier Lacaille) und Gesine (Martina Eitner-Acheampong) klären, welche Figuren sie auf dem Schlachtfeld sind.WDR/Cinétévé/Studio Hamburg Serienwerft

Protagonist der Serie ist der junge Franzose Samy (Xavier Lacaille), der in der ersten Staffel ins Parlament hineinstolpert, als mal mehr und mal weniger opportunistischer Neuling. Und sich später einen Namen als Retter gequälter Haie macht. Der ebenso unfähige wie arbeitsscheue Abgeordnete, für den er arbeitet, macht genau wegen dieser Eigenschaften Karriere. Und auch Samy entwickelt sich weiter.

In der ersten Staffel stehen seine Hai-Initiative und der Brexit im Vordergrund. Samy verliebt sich in die britische Assistentin Rose (Liz Kingsman), die stets nur den Satz „Brexit means Brexit“ tippt und über den dutzendfachen „Cats“-Besuchen ihrer oft verkaterten Abgeordneten verzweifelt. In der zweiten Staffel arbeitet Samy für die ehrgeizige bis schmierige Abgeordnete Valentine Cantel, die mit einem inhaltsleeren „Blue Deal“ die Rettung der Meere propagiert. Und Rose muss sich als Lobbyistin verdingen. Eine britische Assistentin, das sei „wie eine Galapagos-Schildkröte an der Leine statt einem Dackel“, freut sich ihr Chef. Es gebe ja jetzt nur noch so wenige Briten in Brüssel. Rose bleibt jedenfalls auch in der dritten Staffel, in der sie schließlich als Journalistin arbeitet. Zu den Brüsseler Machtkämpfen und dem neuen Postenschacher kommt dann also das Verhältnis von Medien und Politik dazu.

Drehbuchautor arbeitet im EU-Parlament

Wie realistisch ist das alles? Immerhin sieht man die überkomplexe Brüsseler Maschinerie im Detail, die Prozesse und das Personal, das in seiner ganzen Breite gezeigt wird: von den Karrieristen über die Idealisten bis zu den Lobbyisten. Die Antwort: Tatsächlich sehr realistisch. So wurde etwa am Originalschauplatz gedreht, mit internationalem Cast. Man musste für die Dreherlaubnis übrigens erst das Europaparlament überzeugen, dass kein Eurobashing beabsichtigt war. Maxime Calligaro, einer der Drehbuchautoren, ist selbst seit Jahren parlamentarischer Mitarbeiter. Der zudem noch für die Serie recherchiert: Für die Handlung der dritten Staffel, die gerade im deutschen Fernsehen angelaufen und leider noch nicht auf Netflix gelandet ist, befragte er etwa die Brüssel-Korrespondenten mehrerer Zeitungen, auch den der „Presse“, darüber, wie die Arbeit in der Praxis funktioniert. Es ist diese Akribie, die den Eindruck der Authentizität so stark macht. Von den Plakaten in den Zimmern der Mitarbeiter über den Nippes auf den Schreibtischen bis zur Auswahl der Bücher, die herumliegen, hatte man diesen selten so stark bei einer Politserie.

Der beamte Eamon (William Nadylam) bekommt in der dritten Staffel Konkurrenz von Carmen (Elina Lowensohn).
Der beamte Eamon (William Nadylam) bekommt in der dritten Staffel Konkurrenz von Carmen (Elina Lowensohn).Wdr/cinétévé/studio Hamburg Serienwerft

Weshalb man allzu gerne wüsste, ob hinter mancher Figur ein reales Vorbild steht. Hinter dem belesenen Beamten Eamon (William Nadylam) etwa, einem Stoiker, der als Einziger in der Serie keine Schwächen zeigt. Als der Deutsche Torsten aufdecken will, dass Eamon vielleicht gar nicht zur menschlichen Spezies gehört, sucht er bei einem Einbruch in sein Zimmer nach Hinweisen auf Nahrungsverzehr. Und fühlt sich sofort bestätigt, als er Platons „Das Gastmahl“ findet. Ha! Ein Kochbuch, aber kein Essen!

Flott werden die Episoden erzählt, nur rund 25 Minuten dauert eine, und man will kaum aufhören damit. Wohl auch, weil die Serie schonungslos die Schwächen der Politmaschinerie zeigt – der Spott aber auch ein zärtlicher ist. Und den Sinn der Institution nie prinzipiell infrage stellt. Wobei die Vermutung bleibt, dass sich manche Pointen nur wirklichen Insidern erschließen.

Die Staffeln 1 und 2 von „Parlament“ sind auf Netflix verfügbar. Die dritte Staffel ist derzeit nur für Nutzer aus Deutschland in der ARD-Mediathek zugänglich.

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