Herfried Münkler: „Der Übergang von einer Weltordnung in die andere ist zumeist mit Kriegen verbunden.“
Interview

Herfried Münkler: »Wir stürzen in eine neue Weltordnung«

Der renommierte Politologe Herfried Münkler sieht die jüngsten Kriege als Vorboten eines größeren Umbruchs. Das nächste Pulverfass könnte in Taiwan hochgehen. In der Ukraine wähnt er Putins Truppen im Vorteil.

Zuerst der Krieg in der Ukraine, jetzt jener im Nahen Osten: Beschleicht Sie manchmal die Angst, dass wir am Rande eines Dritten Weltkriegs stehen könnten?

Herfried Münkler: Es ist zweifellos eine gefährliche Situation. Vor allem US-Außenminister Antony Blinken versucht jedoch mit seiner Pendeldiplomatie im Nahen Osten zu verhindern, dass weitere Akteure in den Konflikt zwischen Israel und der Hamas eingreifen. Und um den diplomatischen Bemühungen einen Glaubwürdigkeitseffekt zu verpassen, haben die USA auch zwei Flugzeugträger und ein atomwaffenfähiges U-Boot entsandt. Das war ein Signal an den Iran, nicht direkt in den Krieg einzugreifen.

Sie sehen also ein starkes Bemühen der USA, den Krieg einzudämmen. Heizt Russland umgekehrt Konflikte an?

Russland zündelt da und dort. Man kann aber nicht sagen, dass es den Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas unmittelbar verursacht hat. Das hat überwiegend eigene Gründe. Aber Russland ist natürlich der Nutznießer davon.

Manche scheinen das derzeitige Chaos in der Welt als Gelegenheit zu begreifen, sich neu zu positionieren.

Manchmal sind die Positionsverlagerungen im Windschatten der großen Kriege auch zu Russlands Nachteil. Russland hat zum Beispiel seinen Protegé Armenien verloren, weil es der Türkei als Unterstützungsmacht Aserbaidschans bei der Eroberung (des bis dahin armenisch kontrollierten, Anm.) Bergkarabachs freie Hand gegeben hat. Man muss nun schauen, inwieweit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine selbstständige Politik einer Mittelmacht noch nutzen wird, um entsprechende Vorteile zu lukrieren im Hinblick auf Nordsyrien, den Nordirak und gegebenenfalls auch auf Griechenland, wobei er sich dort zurückhalten dürfte. Oder inwieweit Serbiens Präsident Aleksandar Vučić im Kosovo aktiv wird. Das sind alles angelagerte Konflikte. Manche Akteure fühlen sich durch den Verlauf der großen Konflikte ermuntert, ihr Süppchen aufs heiße Feuer zu stellen. Generell stelle ich fest: Der Übergang von einer Weltordnung in die andere ist meist mit einer Zunahme und Intensivierung von Kriegen und Konflikten verbunden. Und genau in einer solchen Situation befinden wir uns gerade. Wir stürzen in eine neue Weltordnung.

Wann hat dieser Prozess begonnen?

Der Rückzug der USA aus der Hüterrolle, das Ende des unipolaren Moments, beginnt schon in der Zeit von US-Präsident Barack Obama. Er konstatierte, dass die USA nicht mehr zu einer gleichzeitigen und gleichgewichtigen Machtprojektion in den pazifischen und den atlantischen Raum fähig sind. Der auch geoökonomisch motivierte „Pivot to Asia“ war mit der Erwartung verbunden, dass die Europäer in der Lage sind, die Leerstellen im atlantisch-europäischen Raum zu übernehmen. Dazu waren die Europäer aber weder fähig noch bereit. Noch viel deutlicher war dann Donald Trumps Formel „America First“, wonach sich andere um die Weltordnung kümmern sollen. Und wenn Sie ein Datum brauchen, würde ich sagen: der 15. August 2021, der US-Abzug aus Afghanistan. 

Warum war dieser Tag so wichtig?

An diesem Tag wurde klar, dass der Westen ein Projekt, in das er über 20 Jahre lang sehr viel Geld, Aufmerksamkeit und Ressourcen investiert hat, sang- und klanglos aufgibt, weil er sich nicht mehr in der Lage sieht, für die Tiefe der Zeit in Afghanistan zu bleiben. Das hatte eine Signalwirkung auf viele andere Staaten. Vermutlich hätte man noch 20 Jahre bleiben müssen, um den Transformationsprozess sicherzustellen.

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