Replik

Zeitgeist weht der Kirche ins Gesicht

Wenn die Kirche ihr Geld vom Staat bekäme, würde sie das von den politischen Verhältnissen abhängig machen.

Regelmäßig, wenn zu Beginn des Jahres die jeweiligen Zahlen über die Austritte aus der katholischen Kirche bekannt gegeben werden, meldet sich der pensionierte Grazer Kirchenhistoriker Rudolf Karl Höfer zu Wort und tritt dafür ein, den Kirchenbeitrag abzuschaffen und ihn durch ein System der staatlichen Kirchenfinanzierung zu ersetzen. Jetzt macht er das auch schon unter dem Jahr.

Höfer propagiert meistens das italienische „Otto per mille“-System der Kirchenfinanzierung. Die Italiener können bei ihrer jährlichen Steuererklärung bestimmen, ob sie acht Promille (daher: otto per mille) aus ihrer Einkommenssteuer einer der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften, die mit dem Staat ein entsprechendes Abkommen haben, widmen wollen.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Da viele Steuerpflichtige keine Entscheidung treffen, wird der Rest anteilsmäßig verteilt, wovon die katholische Kirche naturgemäß am meisten profitiert. Daneben gibt es einen zweiten Topf, aus dem für Kulturelles, Soziales oder Umwelt gewidmet werden kann. Die Steuerpflichtigen müssen also nicht zwischen einer Widmung für die Kirche oder für Kultur/Soziales wählen.

Austritt nach der Hochzeit

Einem Katholiken erspart das die Entscheidung, die ein Glaubensbruder in Österreich treffen muss: Ist mir die Kirche den – meist ohnehin geringen – Kirchenbeitrag im Jahr wert? Immer mehr junge Leute, die bei ihrem ersten registrierten Einkommen mit der Vorschreibung des Kirchenbeitrags konfrontiert werden, antworten darauf mit Nein und verlassen die Kirche. Manche freilich auch erst, nachdem sie eine schöne Hochzeit in der Kirche gefeiert haben.

Das trifft die Kirche nicht nur finanziell, sondern viel mehr in ihrem Selbstverständnis und ist ein schwerwiegendes Argument gegen den Kirchenbeitrag. Dennoch hat sich die Kirche mit dem System, das von den Nazis eingeführt wurde, um ihr zu schaden, angefreundet. Sie zieht es vor, über eine eigene Einnahmsquelle zu verfügen, die es ihr ermöglicht, jene „freie Kirche im freien Staat“ zu sein, die der Katholikentag 1952 proklamiert hat.

Höfer begründet seinen Vorstoß jetzt auch mit sozialen Erwägungen und der aktuellen Krise. Der Kirchenbeitrag „von Armen“ verstärke die angeblich so große allgemeine Armut. Sein Hauptargument ist aber, dass der Kirchenbeitrag das Hauptmotiv dafür sei, aus der Kirche auszutreten. Das wissen auch die Bischöfe.

Mitzahlen für die Katholiken?

Alle Jahre wieder muss man ihm antworten: Die Finanzierung der Religionsgemeinschaften über den Staat ist keineswegs ein „Zeichen der Zeit“, wie er es nennt. Im Gegenteil: Der Zeitgeist weht der Religion und schon gar der katholischen Kirche ins Gesicht. So „marginal“ sind die 400 Millionen Euro, die jetzt der Kirchenbeitrag der katholischen Kirche einbringt, auch wieder nicht. Es würde sicher jemand, der keiner ­Religionsgemeinschaft angehört, zum Europäischen Gerichtshof gehen und sich dort beklagen, wie er dazu kommt, für die Katholiken mitzahlen zu müssen.

Wenn die Kirche ihr Geld vom Staat bekäme, würde sie das von den politischen Verhältnissen abhängig machen, und die müssen nicht immer so günstig für sie sein, wie sie es jetzt sind. Wer sagt, dass man ihr dann nicht eines Tages vorschreibt, wofür sie das Geld ausgeben muss und wofür sie es nicht darf? Das wäre dann die gewünschte „demokratische Mitbestimmung über einen Teil des Steueraufkommens“.

Sollte es überhaupt jemals die Chance gegeben haben, das System zu ändern, ist sie jetzt jedenfalls vorbei. Es gibt auch keine Partei im Parlament, die dazu bereit wäre.

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“ und ist freier Journalist in Wien und Graz.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes war irrtümlich die Rede von Rudolf Höfler. Der pensionierte Grazer Kirchenhistoriker heißt aber natürlich Rudolf K. Höfer. Wir bedauern, dass uns der Fehler nicht eher aufgefallen ist.

Reaktionen an: debatte@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.