Leitartikel

Die Welt ist komplexer als TikTok: Ein Plädoyer für Differenzierung

Der Gaza-Krieg wühlt die Menschen in Europa auf. Soziale Medien heizen die Stimmung an. Im Bild eine pro-palästinensische Demonstration in London.
Der Gaza-Krieg wühlt die Menschen in Europa auf. Soziale Medien heizen die Stimmung an. Im Bild eine pro-palästinensische Demonstration in London.Reuters / Alishia Abodunde
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In der polarisierenden Stammeswelt der sozialen Medien gibt es kaum noch Grautöne, fast nur noch Gut und Böse, nur noch Emotionen und einfache Erklärungen. Das spaltet die Gesellschaft und gefährdet die Demokratie.

Mittlerweile klinken sich viele einfach aus. Sie wollen nichts mehr sehen, hören oder lesen über Seuchen, Kriege und Krisen. Die Flut an Unerfreulichem ist ihnen einfach zu viel geworden – und das eigene Leben oft ohnehin anstrengend genug. Verständlich. Das Phänomen hat bereits einen eigenen Namen: Nachrichtenvermeidung.

„Die Presse“ ist davon bisher weitgehend verschont geblieben, vielleicht auch, weil sie sich an Menschen mit einem überdurchschnittlichen Informationsbedürfnis richtet. Doch insgesamt kann es für eine Demokratie auf Dauer zu einem existenziellen Problem werden, wenn Ignoranz um sich greift und sich alles nur noch um eine Frage dreht: Was geht mich das an? Wer die Augen schließt, bringt die Welt nicht zum Verschwinden, nimmt sich jedoch die Möglichkeit, sie zu verstehen und zu gestalten.

Klassische Medien, so viel Selbstkritik muss sein, tragen sicherlich zum kommunikativen Völlegefühl bei – mit ihrem Fokus auf schlechte Nachrichten und ihrem wachsenden Hang zur Monothematik. Zersetzender wirkt jedoch, was derzeit über soziale Medien auf die Gesellschaft niederprasselt, vor allem auf die jüngere Generation. Inzwischen scheinen alle Dämme zu brechen. Kontrollmechanismen versagen. Es herrscht mediale Anarchie, in der wüsteste Verschwörungstheorien und Gewaltaufrufe ungefiltert in Kinderzimmer gelangen.

Osama bin Laden im Kinderzimmer

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