Stadtplanung

Den Grünraum im eigenen Grätzel sinnvoll nutzen

Eine der Fallstudien liegt am Zeller See im Salzburger Pinzgau.
Eine der Fallstudien liegt am Zeller See im Salzburger Pinzgau.EXPA/Stefanie Oberhauser
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Am Vormittag die Leute aus dem Altersheim, am Nachmittag Jugendliche? Moderne Gemeinden wollen öffentlichen Freiraum zu allen Zeiten attraktiv machen. Das Projekt „Draußen daheim“ erstellt dafür digitale Werkzeuge.

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Die Städteplanung ermöglicht immer mehr Menschen Erholung in direkter Umgebung. Je mehr Bedürfnisse nach Grünraum und Ruhe im eigenen Grätzel gedeckt werden, umso weniger Leute entscheiden sich für den Ausflug mit dem Auto „raus ins Grüne“.

Dies ist ein Ziel im Projekt „Draußen daheim“, das von der Forschungsgesellschaft FFG und dem Klimaschutzministerium gefördert wird. Unter Leitung des Austrian Institute of Technology (AIT) entstehen hier digitale Werkzeuge, die das Nutzungsverhalten von Menschen auf Plätzen, in Parks und in Stadtvierteln sichtbar machen.

Das Projekt basiert auf einem Vorgänger namens „Smart through Gender+“ und hat als weitere Partner die Soziologen und Beteiligungsexperten der Salzburger Büros Raumsinn und Planwind sowie das Boku-Institut für Landschaftsplanung (Ilap) und die Wiener Architekten HUB. „Gender plus heißt, dass man nicht rein nach den Geschlechtern – männlich, weiblich, divers – unterscheidet, sondern diese Geschlechter mit spezifischen Merkmalen verbindet“, erklärt Ernst Gebetsroither-Geringer vom Center for Energy des AIT, der das „Draußen daheim“-Projekt leitet.

Gerecht geplant für alle

Sein Team ist darauf spezialisiert, städtische Infrastruktur und ihre Nutzung zu simulieren und verständlich darzustellen. Gender plus heißt in der Praxis z. B., dass Menschen mit Obsorgepflichten für Kinder oder Ältere vorwiegend Frauen sind.

„Die verschiedenen sozialen Gruppen haben unterschiedliche Bedürfnisse und Notwendigkeiten. Wir versuchen mit Methoden und Tools, die gendergerechte Stadtplanung zu unterstützen“, sagt Gebetsroither-Geringer. Dabei geht es auch um sogenannte Nutzungszyklen, also die Bestimmung des Wann und Wer. Familien mit Kindern werden am Vormittag weniger Freiräume benötigen, wenn die Kinder in Schule und Kindergarten und die Eltern in der Arbeit sind.

„Doch am Nachmittag steigen die Nutzungsansprüche dieser Gruppe. Wir erstellen nun Methoden, die das visualisieren“, sagt Gebetsroither-Geringer. So können Menschen, die am Vormittag Zeit haben (etwa Pensionistinnen und Pensionisten), erkennen, zu welchen Tageszeiten sie im Park Ruhe und Erholung finden.

Während im Vorgängerprojekt die Stadtentwicklung Linz im Fokus war, liegen die Fallstudien im neuen Projekt in Wien und im Land Salzburg. Für Wien ist es der Aumannplatz in Währing, der gerade unabhängig vom „Draußen Daheim“-Projekt neu entwickelt wird. „Unsere Projektpartner HUB-Architekten haben die Gebietsbetreuung vom Aumannplatz über“, berichtet der Forscher. In Workshops mit der Bevölkerung testete das Team digitale Werkzeuge: „Die Menschen können einzeichnen, wie sie den Platz nutzen, wie man ihn durchquert und wo man sich aufhält.“ So werden schnell Nutzungskonflikte sichtbar: Die einen wollen einen Spielplatz im Schatten oder eine Wasserspielfläche in der Mitte. Die anderen wollen schnell und direkt von der Währingerstraße zur Bim-Haltestelle an der Gentzgasse und rennen quasi mitten durch die Spielfläche oder Blumenbeete. „Wir visualisieren das mögliche Konfliktpotenzial ebenso wie Wege, die nicht barrierefrei sind.“ Die Ergebnisse werden zu Projektende 2024 der Stadtverwaltung präsentiert.

Der Aumannplatz in Wien Währing.
Der Aumannplatz in Wien Währing.Robert Newald

Vorzeigewohnbau mit Freiraum

Im Salzburger Pinzgau ist die zweite Fallstudie in Zell am See verortet: Der Sonnengarten Limberg ist ein Vorzeigewohnbau mit viel Freiraum und erneuerbaren Energiekonzepten. „Wir haben dort sehr partizipativ gearbeitet, die Menschen in unsere Analysen eingebunden“, sagt Gebetsroither-Geringer. Bewohnerinnen und Bewohner führten über mehrere Wochen Tagebuch ihrer Freiraumnutzung. „Wann ist wer mit welchen Verkehrsmitteln zum See gefahren? Wann gehen die Leute eher zu Fuß? Wozu brauchen sie das Auto? Solche Fragen sind zu klären, damit wir die aktive Mobilität stärken. Je mehr Wege zu Fuß oder mit dem Rad erledigt werden, umso geringer sind die Emissionen.“

In Limberg fiel auf, dass die meisten Menschen für größere Einkäufe das Auto nehmen. Denn der Weg vom Supermarkt zur Siedlung zurück geht bergauf. „Hier wären E-Lastenfahrräder zum Ausleihen sinnvoll, damit man für diese Einkäufe das Auto stehen lassen kann. Wir berechnen gerade, welchen Impact eine solche Umstellung hat.“ Ein Carsharing ist in dem energieoptimierten Wohnbau bereits installiert: Aber es wird nicht so gut angenommen wie erhofft.

Der Sonnengarten Limberg in Zell.
Der Sonnengarten Limberg in Zell.Nikolaus Faistauer

Neue Ideen für die Menschen

Wo liegen die Details, die sogar in einer zukunftsgewandten Bauweise dazu führen, dass die Leute individuellen motorisierten Transport bevorzugen? Da helfen Visualisierungen, um nicht nur den Verantwortlichen zu zeigen, wo es hapert. „Sondern auch, um den Menschen, die dort wohnen, neue Ideen zu geben, wie sie ihr Nutzungsverhalten anpassen können“, sagt Gebetsroither-Geringer. Die Projektarbeit fördert auch die Akzeptanz der jeweils anderen Gruppen und ihrer Gewohnheiten. Der Fokus liegt auf vulnerablen Gruppen, also jenen, die oft schneller zurückstecken müssen und auf die in der Stadtplanung oft vergessen wird.

„Viele haben finanziell gar nicht die Möglichkeit, ihre Wege anders zu absolvieren. Wir schauen z. B. auch darauf, dass ein Park so gestaltet wird, dass starke Burschen nicht schwächere Kinder verdrängen“, zählt der Forscher auf. Laut Gender-plus-Stadtplanung haben männliche Jugendliche andere Bedürfnisse als Mädchencliquen im öffentlichen Freiraum – all das soll beachtet werden. „Auch Arbeitsplätze im Park sind ein Aspekt“, sagt der Forscher. Wie klappt die Energieversorgung über Fotovoltaik in eng bebautem Gebiet? Wo bleibt es sonnig genug, um Laptops und Handys zu laden?

Den Forschenden ist wichtig, die Menschen so früh wie möglich einzubeziehen. Über die Gebietsbetreuung oder lokale Stadtplaner entsteht der Kontakt oft unkompliziert. Viele geben gern ihre Meinung preis, was man wo wie besser machen kann.

„Unsere Tools helfen, sich differenzierte Bilder zu machen, etwa in einer Heatmap: Diese zeigt interaktiv an, welche Gruppen zu welcher Tageszeit an welchen Wochentagen welches Nutzungsverhalten haben“, sagt Gebetsroither-Geringer. „Heat“ steht hier nicht für Hitze, sondern die Visualisierung nutzt das Farbschema der Temperaturmessung: Wo viel los ist, leuchtet der Platz oder die Gasse rot auf, bei wenig Nutzung bleibt der Fleck im Stadtplan blau oder grün. „Man sieht, wo sich Aktivitäten konzentrieren. So bekommt man Ideen, wie man zu starke Nutzung und damit Konflikte vermeiden kann.“

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