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„Last Christmas“ war alles besser

Andrew Ridgeley (rechts) and George Michael (links), zusammen Wham!, backstage während ihrer Welttournee 1985.
Andrew Ridgeley (rechts) and George Michael (links), zusammen Wham!, backstage während ihrer Welttournee 1985. Michael Putland/Getty Images
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Alle Jahre wieder stehen im November Lebkuchen und Spekulatius bereit, im Radio läuft Wham!. Bis zu 24 Mal am Tag. Wie schön.

Ironischerweise klagen Menschen in fortlaufender Wiederholung über das Wiederkehrende. Beginnend mit der Zeitumstellung Ende Oktober („Man könne sie doch abschaffen“), werden im November Lebkuchen und Schoko-Nikoläuse bekrittelt, die jedes Jahr noch früher („Ja, dieses Jahr wirklich“) in die Märkte kämen. Allgemeines Geraunze erklingt spätestens im Chor mit George Michael, der besseren Hälfte des britischen Popduos Wham!.

Das erste Mal „Last Christmas“ hat zumindest die Ö3-Gemeinde heuer schon hinter sich gebracht, vor gut einer Woche, kurz vor neun Uhr morgens. Für die „Zu früh“-Fraktion zweifelsohne ein herausfordernder Start in den Tag. Untersuchungen zufolge nutzen Menschen Musik zur eigenen Besänftigung, 2013 kam man zu dem Schluss, Musikhören stärke gar die Immunabwehr. Die richtige Musik, so heißt es, könne den Serotoninspiegel erhöhen und Prolaktin freisetzen, das Hormon, das die Bindung zwischen Mutter und Kind stärkt. Gerade Weihnachtslieder sollen Wunder wirken.

Das hat mit der höchst ungleichmäßigen zeitlichen Verteilung seines Einsatzes zu tun. Zwischen zwei Weihnachten ist eben lange Pause. Und ein Lied, das wir lange nicht gehört haben, versetzt das Hirn in den Modus der Erinnerung an ein undefiniertes Damals. Das weckt Nostalgie – oder aber Frust. Je nach Biografie. Wohl hat aber nicht jeder „Last Christmas“-Groll seine Wurzeln in weihnächtlichen Eklats oder der traurigen Kindheit. In Dauerschleife kratzt selbst der beste Titel am Nervenkostüm. Und in Zurückhaltung übt sich im Advent kaum ein Sender. Antenne Kärnten hat „Last Christmas“ einmal 24 Mal in Folge gespielt: freilich ein PR-Gag, deshalb nicht weniger lästig.

Mit neuen Nummern stimmt man die Menge aber auch nicht besinnlich. So glauben ältere Generationen stets, die Musik der eigenen Jugend sei besser als der Krach der Jugend von heute (auch das eine ewige Wiederkehr). Ariana Grande („Santa Tell Me“), Justin Bieber („Mistletoe“) und Ava Max („Christmas Without You“) haben mit ihren elektronisch getriebenen und mit Glöckchen gespickten Poptiteln schlechte Karten. Man wird sich also auch heuer wieder mit „Last Christmas“ und einer Handvoll anderen Titeln begnügen (müssen), mit dem zyklischen Beschwerdechor sollte man derweil brechen, der Abwechslung wegen. Und um Energie zu sparen. Man wird sie brauchen kommendes Jahr, wenn „Last Christmas“ 40 wird.

E-Mails an: eva.dinnewitzer@diepresse.com

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