Interdisziplinär

Digital Humanities: Brückenschläge ins digitale Zeitalter

Nicht nur Text, auch Bewegung wird mittels digitaler Methoden erfasst und dokumentiert. Hier für die Musikforschung. 
Nicht nur Text, auch Bewegung wird mittels digitaler Methoden erfasst und dokumentiert. Hier für die Musikforschung. Arnold Pöschl
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Die neuen Technologien bringen die Geisteswissenschaften in eine Art interdisziplinären Selbstfindungsprozess. Und lassen mehr Nähe zur Informatik entstehen.

Wie ein Übersetzer fühle er sich manchmal, erzählt Andreas Baumann, Assistenzprofessor für Digitale Linguistik an der Universität Wien, wenn er über Digital Humanities – den Fachbereich, in dem er unterrichtet – spricht. Und tatsächlich wirkt das Studium Digital Humanities, für das es hier seit knapp zweieinhalb Jahren einen eigenen Master gibt, wie ein Brückenschlag, eine Art Übersetzer, zwischen den klassischen Geistes- und Kulturwissenschaften und den neuen Technologien des digitalen Zeitalters. Die Frage, was man sich denn nun genau darunter vorstellen könne, entlockt ihm ein Schmunzeln: „Im Feld werden immer wieder Witze darüber gemacht, dass die Literatur um die Definition des Faches schon fast so umfangreich ist wie das Fach selbst.“

Generell könne man aber drei Strömungen in Forschung und Lehre identifizieren: Die eine ist das Befassen mit digitalen Medien und Inhalten, also beispielsweise die Erforschung von Verhalten in den sozialen Medien. Die zweite das Anwenden digitaler Methoden in den Geisteswissenschaften, was auch als digitalisierende Geisteswissenschaften (engl.: Digitized Humanities) bezeichnet wird. „Das kann die Arbeit mit Datenbanken sein, die Digitalisierung von Artefakten, Texten, Bildern, und das Aufnehmen von Musik oder Tänzen“, erklärt Baumann. In der dritten Strömung gehe es darum, Phänomene, die in den Geisteswissenschaften untersucht werden, mit computergestützten Methoden zu analysieren. Hier gibt es auch Überschneidungen mit der Informatik.

Zeitungen auf Knopfdruck

Den zweiten Bereich, die Digitalisierung von Inhalten aller Art, stellt Günter Mühlberger in den Mittelpunkt, er ist Vorsitzender des Digital Humanities Research Centre der Universität Innsbruck: „Mit Texten arbeiten und aus ihnen Informationen gewinnen ist durch die Digitalisierung in wesentlich strukturierterer Form möglich.“ Wühlte man sich ehemals noch physisch durch Bibliothekskataloge und Bücherberge, so findet man viele Informationen nun auf Knopfdruck. „Ein gutes Beispiel sind etwa Zeitungen“, erzählt Mühlberger, selbst aus dem Feld der Germanistik, „sie waren für die Forschung immer wichtige Informationsquellen. Nehmen wir an, ich möchte mich mit der Aufführungspraxis von Grillparzer in der k. u. k. Monarchie beschäftigen – und zwar von 1880 bis 1918. Das hätte ein Mensch früher zeitlich nicht leisten können.“ Durch Digitalisierung und Volltextsuche ließen sich Themen und Zeiträume in der Forschung nun viel weiter fassen.

Simulation von Sprache

Für die Analyse von Phänomenen anhand computergestützter Methoden gibt Baumann ein Beispiel aus der Sprachwissenschaft: „Angenommen, ich möchte wissen, wie sich bestimmte Bestandteile einer Sprache verändern, wenn sie über mehrere Generationen weitergegeben werden. Um das herauszufinden, kann ich eine rudimentäre Sprache erstellen, mit der ich einen Computer füttere und eine Simulation über mehrere Generationen erstellen.“ Eine Methode, die auch in der Biologie oder Medizin – etwa zur Simulation der Verbreitung von Pathogenen – schon seit Längerem Anwendung findet.

Insgesamt kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass sich die Geisteswissenschaften in einer Art Selbstfindungsprozess im digitalen Zeitalter befinden, der in den Digital Humanities seinen Ausdruck findet. Tatsächlich ist das Fach in seiner Zusammensetzung ausgesprochen interdisziplinär: Personen aus insgesamt acht Fakultäten sind am Forschungszentrum der Universität Innsbruck beteiligt, in Wien ist der Master Digital Humanities – genauso wie die Richtungen Business Analytics und Data Science – ein gemeinschaftliches Angebot der Fakultäten für Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Mathematik sowie der Historisch- und Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultäten.

Ausgerichtet ist der Studiengang allerdings auf jene, die aus den Geisteswissenschaften kommen – ein Abschluss in Informatik würde für das Studium als Voraussetzung nicht ausreichen. Im Zuge des Curriculums setzen sich die Studierenden mit den Grundsätzen des Programmierens auseinander, mit der Konzeption und Strukturierung von Datenbanken oder Computerethik. Derzeit schließen die ersten Absolventen und Absolventinnen den neuen Studiengang ab.

Auf einen Blick

Digital Humanities kombinieren Methoden aus den Geisteswissenschaften mit der Informatik und Texttechnologie und erforschen kulturelle, historische, sprachliche, literarische und andere text- und sprachbasierte Gegenstände. Ein Studium kann derzeit an der Universität Wien (Master Digital Humanities) sowie an der Universität Graz (Master Digitale Geisteswissenschaften) absolviert werden.

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