Gastkommentar

Wo Wolfgang Sobotka leider einen Punkt hat

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Donnerstag im Nationalrat.
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Donnerstag im Nationalrat.APA / APA / Eva Manhart
  • Drucken
  • Kommentieren

Heinz Christian Strache hat alle seine Strafverfahren gewonnen. Er ist daher ruiniert. 

Die Vernichtung der öffentlichen Person Heinz-Christian Straches erfüllt viele mit tiefer Befriedigung, ist aber bei nüchterner Betrachtung leider ein bisschen ein Skandal. Denn in Österreich hat die Staatsanwaltschaft die Macht, Strafe durch Verfahren zu verhängen. Die finanziellen, sozialen und psychischen Schäden einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft gehen oft weit über die im Verfahren angedrohte Strafe hinaus. Das ist ein absurdes Resultat. Willkommen im Mittelalter: Wer unschuldig ist, ertrinkt. 

Natürlich hat sich die ÖVP die vergangenen Jahre über diesen Missstand beschwert, weil sie Angst gehabt hat zu ertrinken. Klingt eigennützig. Ist es auch. Das macht den Missstand aber nicht kleiner. Ob also Wolfgang Sobotka bei Christian Pilnacek interveniert hat oder nicht – hätte er interveniert, wäre sein Antrieb legitim gewesen.

Pilnaceks nüchterne Analyse

Denn bei Politikern ist der Schaden, den man durch bloße Anklage anrichtet, nicht nur persönlich, sondern auch verfassungspolitisch relevant. Der durch seine Kritik an der ÖVP jäh rehabilitierte Pilnacek hat es selbst messerscharf so analysiert: Wenn sie will, schießt uns die Staatsanwaltschaft die ganze Republik zusammen. Das war keine Übertreibung, sondern eine nüchterne juristische Analyse. 

Denn auch wenn es viele überraschen mag, die Staatsanwaltschaft ist nicht die oberste Behörde im Staat. Sie ist nicht der Souverän. Gleichzeitig hat sie aber Strache endgültig aus dem Rennen genommen und uns damit indirekt Kickl vor die Tore gestellt. Kein Parlament und kein Gericht der Welt konnten sie daran hindern. Das ist besorgniserregend. 

Dass auch kein Justizministerium sie an irgendetwas gehindert hat, darüber hat sich ursprünglich Pilnacek beschwert. Dabei ist dem Ministerium nicht unbedingt ein Vorwurf zu machen. Denn seit der Strafprozessreform 2008 können Weisungen an Staatsanwälte nur schriftlich erfolgen und müssen dem Akt angeschlossen werden. Vorteil: Staatsanwälte sind so gegen ungebührliche Einflussnahme geschützt. Der Nachteil aber ist, dass vor allem politisch aktive Angeklagte schwer vor ungebührlicher Anklage geschützt werden können, denn welche Justizministerin und welcher Oberstaatsanwalt würde ein Verfahren gegen einen Politiker mit schriftlicher Weisung abdrehen? Der wegen der möglichen negativen Präjudizwirkung letztlich zahnlose Einspruch gegen die Anklage hilft dem Angeklagten leider auch nicht weiter.  

Das allein wäre schlimm genug. Dazu kommt aber noch, dass es in der österreichischen Strafprozessordnung, im Gegensatz zu etwa Deutschland, keinen wirklichen Kostenersatz für gewonnene Strafverfahren gibt. Aus Gebührensicht ist Anklageerhebung also ein risikoloses Investment.  

Ob es in der Staatsanwaltschaft also tatsächlich rote, grüne oder antibürgerliche Netzwerke gibt, ist daher unerheblich. Das Problem ist, dass die gegenwärtige Situation ein Glücksrittertum fördert: Anklage Strache? Der Chance auf historischen Ruhm steht vernachlässigbares Risiko gegenüber. Wer könnte dem widerstehen? 

Diese glücksritterlichen Anreize stehen aber im Gegensatz zur Verletzlichkeit des zu schützenden Rechtsguts: Die Einleitung von Strafverfahren ist so heikel und ein so tiefer Eingriff in die Rechte des Beschuldigten, dass sich etwa die USA in Bundessachen immer noch das umständliche Spektakel einer Grand Jury antun. Darin entscheiden 23 Geschworene, ob Anklage erhoben wird oder nicht. In anderen Systemen entscheiden Gerichte in Vorverfahren darüber, ob Anklage erhoben wird oder nicht.  

Wir haben im Grunde das Gegenteil. Solang das nicht behoben ist, hat Sobotka leider einen Punkt. 

Christoph Kletzer (*1974), Professor für Recht und Rechtsphilosophie am King’s College London und Global Professor of Law an der Notre Dame University.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.