Gastkommentar

Ein Next Level für Energie und Klima

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Nach der COP28. Was aus den Defiziten der Klimakonferenzen, auch der soeben zu Ende gegangenen in Dubai, zu lernen wäre.


Mit mehr als 80.000 Registrierungen war die 28. Klimakonferenz in Dubai allein von der Zahl der teilnehmenden Personen ein Kontrast zu der ersten dieser Konferenzen im Jahr 1995 in Berlin, wo weniger als 4000 Delegierte einen nüchternen Start für multilaterale Kooperationen zu der Bewältigung des Klimaproblems setzten. Die Optik der Konferenz in Dubai erweckte dagegen von den gesponserten Cocktailpartys bis zu den glamourösen Nebenveranstaltungen den Eindruck einer Handelsmesse oder eines Zirkusfests.

Geändert hat sich auch die Wahrnehmung der Inhalte: Zu Beginn der Konferenzen wird eine Fülle von freiwilligen, aber unverbindlichen Zusagen und Initiativen angekündigt, um mit positiven Signalen Erwartungen zu erfüllen. In Dubai reichten diese von der Verdreifachung der globalen Kapazität für erneuerbare Energien bis zur Unterstützung der Bauern bei der Verbesserung der Bodenqualität. Die eigentlichen Verhandlungsinhalte bekommen aber wegen ihrer Sperrigkeit wenig Aufmerksamkeit, außer dem zentralen Schlussdokument, um das mit der nun üblichen Dramatik in einer Verlängerung der Konferenzdauer gerungen wird.

Auslaufmodell Klimakonferenz

In Dubai war dieses kritische Dokument die globale Bestandaufnahme der Klimasituation. Kern der kontroversen Positionen der Staaten waren die Formulierungen über die Zukunft der fossilen Energie. Hier legte sich die Lobby der fossilen Interessen quer. Eine vom Gastgeberland geführte Koalition mit rund 50 Unternehmen aus der Öl- und Gasbranche präsentierte in einer jener vielen freiwilligen Zusagen eine überraschende Argumentation: Den Klimawandel zu verringern muss nicht unbedingt die Eliminierung fossiler Energien bedeuten, da Technologien verfügbar werden könnten, um Emissionen aus der Atmosphäre fernzuhalten.

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Die Klimakonferenzen haben in der Vergangenheit durchaus bemerkenswerte Erfolge erzielt, vor allem 2015 den Pariser Klimavertrag mit seiner Ambition einer Limitierung des globalen Temperaturanstiegs bei 1,5°C. Das Format dieser Konferenzen hat sich aber aus mindestens drei Gründen erschöpft. Erstens durch die Geschäftsordnung von UN-Konferenzen, die Einstimmigkeit aller teilnehmenden Staaten erfordert. In Dubai haben die Blockaden durch die Opec-Staaten das Schlussdokument inhaltlich ausgedünnt. Zweitens durch die geopolitischen Verwerfungen, sodass ein Aufflackern von potenten nationalen Interessen die multilateralen Kooperationen unterminiert. Drittens aber auch Mängel in den diskutierten Inhalten, die sich auf Ziele bei der Reduktion der Treibhausgase verengten, aber zu wenig Wege aufzeigten, wie diese Ziele erreichbar gemacht werden können.

Echo globaler Defizite

In der österreichischen Klimapolitik ist das Echo der globalen Defizite vernehmbar. Die nationalen Ziele sind ambitioniert, aber aus derzeitiger Sicht kaum erreichbar. Bis 2030 wäre Elektrizität vollständig mit einigen Einschränkungen aus Erneuerbaren bereitzustellen, bis 2040 wird Klimaneutralität angestrebt. Öl und Gas sollen in wenigen Jahren nicht mehr bei privaten Haushalten zu finden sein. Wie schwer solche Ambitionen zu verwirklichen sind, zeigt der Pkw-Verkehr: Würde es gelingen, diesen vollständig von klimaschädigenden Emissionen zu befreien, dann würden damit erst drei von den verbleibenden 17 Jahren bis 2040 zur Klimaneutralität bewältigt sein. Weglose Ziele lautet die kürzeste Diagnose der österreichischen Klimapolitik. Wie könnten aber zielorientierte Wege aussehen?

Sackgassen der Klimapolitik

Angesichts der Sackgassen, in die sich auch die österreichische Klimapolitik verirrt hat, hilft vielleicht eine Provokation weiter: Abschied nehmen von den Altlasten einer nicht ausreichend Orientierung gebenden Politik und Wechsel zu radikalen Innovationen, die gar nicht das Klimaproblem als Motivation brauchen.

Drei Schwerpunkte bieten sich dafür an: Erstens, radikal neue Strukturen bei Gebäuden. Vorbild dafür sind die herausragenden Projekte in der Schweiz, die unter der Chiffre „Quartiere“ integrierte Räume für Wohnen, Arbeiten und sonstige Aktivitäten schaffen, die weitgehend in Gehdistanz zu bewältigen sind. Energetisch unterstützt werden diese innovativen Stadtentwicklungen mit dem Konzept von Energy Hubs, das sind hoch integrierte Energiesysteme, die Wärme und Kühlen weitgehend lokal bereitstellen. Ein zentrales neues Element dafür sind Anergienetze, nämlich Niedertemperaturnetze, die Wärme rezyklieren und lokale Geothermie über Tiefenbohrungen nutzen. Dafür ist beispielsweise ein neues Verständnis für die Rolle der Wohnbauförderung und der Raumplanung erforderlich.

Zweitens, radikale Transformationen in der Industrie bei Stahl, Zement und Grundstoffchemie durch ein kreislauforientiertes Carbon-Management. Österreich hat dafür beste Voraussetzungen, bei diesen neuen Industriestrukturen die bestehende globale Technologieführerschaft zu sichern. Dafür sind aber vonseiten der Politik Voraussetzungen zu schaffen, die von einer Infrastruktur für den Transport von CO2, Wasserstoff und synthetischen Energieträgern bis zu risikomindernden Finanzierungsmechanismen reichen. Dafür sind die momentan vorgesehenen Finanzierungsinstrumente nicht ausreichend.

Drittens, neue ökonomische Instrumente mit einer hohen Anreizwirkung. Dahinter stehen die Erfahrungen mit dem Umgang der durch Covid und Energiepreisschocks ausgelösten großzügigen Milliardenhilfen, die der Kritik von Helikoptergeldverteilungen mit wenig Treffsicherheit ausgesetzt sind. Zwei innovative Instrumente zeigen, welche Alternativen bei zukünftigen Politikdesigns wirksamer wären. Bei den leitungsgebundenen Energieträgern wären dies Bonusmodelle, mit denen mit leicht nachweisbaren Verbrauchsreduktionen ein Bonus die Energierechnung verringert. Für Elektrizität wären lastorientierte Tarife anzubieten, um damit die hohen Kosten für Spitzenlast zu reduzieren.

Brauchen neues Vokabular

Quartiere für leistbares Wohnen, befriedigende Arbeit und sonstige Aktivitäten in kurzer Reichweite und Energy Hubs mit lokalisierten Energiesystemen brauchen keine zusätzliche Klimamotivation, haben aber sehr wohl massive positive Effekte auch für die Klimaziele. Eine Industrie, die sich von der Abhängigkeit belastender fossiler Energien löst und die Synergien von neuen Wertschöpfungsketten zwischen Sektoren und dem Recycling von Kohlenstoff nutzt, sichert damit Wettbewerbsfähigkeit und Standortsicherung.

Ein Nebeneffekt ist die Defossilierung im Interesse der Klimaziele. Für den Next Level der Politik für Energie und Klima bieten sich nicht nur neue Vokabel, sondern auch neue Motivationen an, die Krisenfestigkeit, Leistbarkeit und Wohlstandssicherung in den Vordergrund rücken. Das sollte den lokalen blockierenden Lobbys nicht entgehen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Autoren

Reinhold W. Lang ist Professor für Polymerwerkstoffe an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Er ist Mitglied des Vorstands von AEE Intec Gleisdorf und des Advisory Committee von Plastics Europe, dem europäischen Verband der Kunststoffhersteller.

Stefan P. Schleicher ist Professor am Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität in Graz und Konsulent am Wifo. Seit Jahren begleitet er die österreichische und internationale Klimapolitik.

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