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Warum steigt die Zahl der Verkehrstoten?

Auch die Zahl der Motorradunfälle ist heuer deutlich höher als im vorigen Jahr.
Auch die Zahl der Motorradunfälle ist heuer deutlich höher als im vorigen Jahr. APA
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384 Menschen haben heuer im Straßenverkehr bereits ihr Leben verloren. Das sind mehr als in den vergangenen Jahren. Vom Ziel, die Zahl der Verkehrstoten bis 2030 zu halbieren, ist man weit entfernt. Woran liegt das? Und was muss geschehen, um die tödlichen Unfälle zu verhindern?

Am vergangenen Wochenende haben in Wien zwei Jugendliche ihr Leben auf einer Straße verloren: Der PS-starke Audi, in dem sie viel zu schnell unterwegs waren, geriet ins Schleudern und fing nach einem Aufprall schließlich Feuer. Die beiden getöteten Jugendlichen sind nur zwei von bisher 384 Menschen, die heuer (bis 17. Dezember) bereits bei Verkehrsunfällen getötet wurden. Und so makaber das klingt: Bis zum Jahresende werden wohl noch rund zehn weitere Menschen auf Österreichs Straßen getötet werden, das erwarten die Experten im KfV, dem Kuratorium für Verkehrssicherheit. Damit steigt die Zahl der Verkehrstoten. Im Vergleichszeitraum 2022 waren es 362, 2021 in dieser Zeit 350 und 2020 im Vergleichszeitraum 337 Verkehrstote.

Diese geringeren Zahlen der vergangenen Jahre lagen wohl an Corona: Zuletzt gab es 2019, also vor Corona, im Vergleichszeitraum bis 17. Dezember mit 400 deutlich mehr Verkehrstote als heuer. Im gesamten Jahr 2019 starben bei Unfällen auf heimischen Straßen 416 Menschen. Im Jahr 2018 waren es 409. Seit 2020 lag die Gesamtzahl der Verkehrstoten immer unter 400. Die aktuellen Zahlen sind also wieder auf dem Niveau der Vor-Corona-Zeit.

Die Ziele werden klar verfehlt

Aber: Sie liegen klar über den Zielwerten. Laut Österreichischer Verkehrssicherheitsstrategie soll die Zahl der Verkehrstoten zwischen 2021 und 2030 halbiert werden. Der Ausgangswert war der Schnitt der Jahre 2017 bis 2019 mit 413 Verkehrstoten. Das Ziel für 2030 waren damit nicht mehr als 207 Getötete im Jahr 2030, erklärt Klaus Robatsch, Verkehrssicherheitsexperte vom KfV. Um das zu erreichen, hätte die Zahl der Getöteten kontinuierlich sinken sollen, jedes Jahr um fünf Prozent. Die Zahl sank zunächst tatsächlich, sogar deutlicher. Nun steigt sie wieder.

„Der Zielwert für heuer wären 351 Verkehrstote gewesen, da sind wir deutlich darüber“, sagt Robatsch. Warum gelingt die Reduktion nicht wie geplant? „Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Tödliche Verkehrsunfälle sind noch immer vor allem ein Problem des Pkw-Verkehrs (45 Prozent), aber heuer gab es eine deutliche Steigerung bei Motorradfahrern: Wurden im Vorjahr 55 Menschen bei Motorradunfällen getötet, waren es heuer 78“, sagt Robatsch.

Und Ablenkung als Ursache, vor allem durch Smartphones, nimmt zu. Sie wurde von der Exekutive heuer in 31 Prozent der Unfälle als Hauptursache festgestellt. Die Nummer zwei als Hauptunfallursache ist nicht angepasste Geschwindigkeit. Gegen beide Ursachen wird wenig getan.

Zahnlose Strafen

„Zu schnelles Fahren ist in Österreich weit verbreitet und gilt als relativ normal. Wir sehen an Befragungen europaweit, dass Österreich beim Zuschnellfahren fast immer an erster Stelle ist“, sagt Robatsch. Dazu sind die Toleranzgrenzen, die Geräte- und Behördentoleranz, hoch, die Strafen gering. „In einer 50er-Zone im Ortsgebiet müssen Sie für eine kurze Führerscheinabnahme für einen Monat über 90 km/h fahren. Diese Strafe wurde mit dem Raserpaket eben erst angehoben, zuvor waren es nur zwei Wochen. In der Schweiz ist der Führerschein viel früher und deutlich länger weg. Der Führerschein muss früher und für länger entzogen werden, dann werden wir diese Normalität des Zuschnellfahrens nicht mehr sehen“, so Robatsch.

„Wir haben ein zahnloses Vormerksystem“, sagt Robatsch. Am Beispiel anderer Länder sieht man, wie strengere Kontrollen und konsequente Strafen die Zahl der Verkehrstoten deutlich verringern: Im Vergleich der Verkehrstoten pro einer Million Einwohner liegt Österreich mit 41 aktuell unter dem EU-Schnitt von 46 pro einer Million Einwohner. Aber Deutschland liegt bei 33, die Schweiz bei 28 und die nordischen Länder noch einmal deutlich darunter: Schweden hat 22 Verkehrstote pro einer Million Einwohner, Norwegen 23. Deutlich höher liegt diese Quote etwa in Rumänien oder Bulgarien.

Texten und Scrollen am Lenkrad sind kaum strafbar

Um das Ziel der Reduktion bis 2030 zu erreichen, „müssen wir Maßnahmen setzen, und davon bräuchten wir viele“, sagt Robatsch. Handlungsbedarf sieht er etwa beim Thema Ablenkung: „Wir müssen das Kontrollhindernis abschaffen. Aktuell kann nur bestraft werden, wenn es eine Anhaltung gibt und der Lenker dann noch immer ohne Freisprecheinrichtung telefoniert oder am Handy textet. Besser wäre eine Sanktionierung über Kamerabilder oder die Möglichkeit zur Strafe, wenn die Exekutive jemanden sieht, wie er telefoniert oder textet“, sagt Robatsch.

Auch beim Thema Gurte könnte mit einfachen Mitteln viel für die Sicherheit und weniger Tote geschehen. „Wir haben am Fahrersitz eine Anschnallquote von 98 Prozent. Zwei bis drei Prozent sind nicht angegurtet, aber bei den Getöteten sind es 30 Prozent, die nicht angegurtet waren“, sagt Robatsch.

Fast jeder dritte Verkehrstote nicht angeschnallt

„Und dann haben wir ein großes Thema im Radverkehr: Generell sind die Unfallzahlen in den vergangenen zehn Jahren zurückgegangen, bei den Radfahrern aber stark gestiegen. Das liegt nicht nur an mehr Radverkehr und E-Bikes, sondern an schlechter Infrastruktur. Die Radwege sind trotz hoher Kfz-Geschwindigkeit baulich nicht getrennt. Und es dürfen nicht nur viel zu schmale Miniradwege oder nur Streifen sein. An Kreuzungen müssen Sichtkontakte möglich sein, und man muss Ampelphasen so trennen, dass abbiegende Autos und geradeaus fahrende bzw. gehende Radfahrer und Fußgänger nicht zugleich grün haben“, so Robatsch.

Auch bei Mopeds sieht das KfV dringenden Handlungsbedarf: „Das höchste Risiko, getötet zu werden, haben 15- und 16-jährige Mopedlenker. Sie müssen nur eine Theorie-, aber keine praktische Fahrprüfung machen. In Tests haben wir gesehen, dass ein großer Teil der jungen Mopedfahrer überhaupt nicht fahren kann und auch im Theorieteil durch die Prüfung für den A-Schein gefallen wäre“, so Robatsch.

Hunderttausende Alkofahrer

Letztendlich sieht er auch beim Thema Alkohol und Drogen Bedarf nach mehr Kontrollen: „Vor allem auf Drogeneinfluss wird viel zu wenig kontrolliert. Eine Dunkelfeldstudie hat ergeben, dass 654.000 Menschen im Jahr unter Alkoholeinfluss Auto fahren, 250.000 Menschen in Österreich fahren unter Drogeneinfluss Auto. Dem gegenüber stehen 7000 Kontrollen auf Drogeneinfluss, das ist viel zu wenig.“

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