Der ökonomische Blick

Wie kann man Inflation besser vorhersagen?

Kann man durch die Analyse von Wartezeiten in der Gastronomie Inflationsentwicklungen vorhersagen?
Kann man durch die Analyse von Wartezeiten in der Gastronomie Inflationsentwicklungen vorhersagen?Imago / Xinguskx
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Nicht nur die Experten der EZB, sondern auch die Ökonomen der Zentralbanken in den USA und in Großbritannien lagen mit ihren Inflationsprognosen daneben. Wie kann man diese künftig verbessern? Möglicherweise mithilfe von Mobilfunkdaten.

Die hohen Preise, die wir alle in diesem Sommer im Urlaub bezahlen mussten, haben in den Budgets vieler Familien deutliche Spuren hinterlassen. Inflationsdruck, ein Begriff, den unter 40-Jährige bisher nur aus Geschichtsdokumentationen kannten, ist noch immer hoch und lässt nur langsam nach. Die Frustration vieler Menschen ist verständlich: Wie konnte die Inflation nur so eskalieren? Warum haben die Währungshüter der Europäischen Zentralbank in Frankfurt die Teuerung nicht vorhergesehen? Und warum haben sie nicht früher und stärker darauf reagiert?

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Ein Teil der Kritik mag gerechtfertigt sein. Aber die zukünftige Preisentwicklung ist leider sehr schwer vorherzusehen, was im Vorlauf der aktuellen Situation deutlich wurde: Nicht nur die Experten der EZB, sondern auch die Ökonomen der Zentralbanken in den USA und in Großbritannien lagen mit ihren Prognosen daneben.

Es stellt sich daher die Frage, ob und wie man die Vorhersage von zukünftigen Preisen verbessern kann. In einer neuen Studie zeigen wir, ein Team von Wissenschaftlern von vier Universitäten, dass man dazu auch Mobilfunkdaten verwenden kann.

Genauere Prognosen durch Mobilfunkdaten?

Wir verwenden dazu Daten eines Unternehmens in den USA das die Positionen mehreren Millionen Mobilfunknutzer verfolgt und analysiert, welche Geschäfte diese Personen besuchen. Die Daten respektieren die Privatsphäre der Benutzer, indem sie nur zeigen, wie viele Kunden pro Woche ein Geschäft besucht haben und wie viel Zeit sie im Schnitt dort verbracht haben. Wir wissen also zum Beispiel, dass in einem bestimmten Restaurant in New York in einer Woche 450 Kunden waren und dort durchschnittlich 37 Minuten verweilten. Wir wissen jedoch nicht, wer diesen Personen sind.

Wir konzentrieren uns auf Restaurants in den USA zwischen Jänner 2019 und November 2021. Die Untersuchungsperiode enthält daher mit 2019 ein ganzes Jahr vor der Covid-Pandemie und fast zwei Jahre der Pandemie selbst. Für jede Kalenderwoche im Jahr 2020 und 2021 schätzen wir die durchschnittliche Verweildauer in einem Geschäft relativ zur „normalen“ Verweildauer in derselben Kalenderwoche im Jahr 2019. Wir möchten damit die abnormalen Effekte der Pandemie auf die Verweildauer schätzen und nehmen an, dass die meisten Änderungen durch eine längere Wartezeit verursacht werden. Wir nennen diese Änderungen relativ zu 2019 daher die „Abnormale Wartezeit“.

In der abgebildeten Grafik kann man viele interessante Bewegungen beobachten. Während die Abnormale Wartezeit ohne besondere Pandemieeffekte um Null herum schwanken sollte, war sie zu Beginn der Pandemie, also im Frühling 2020, negativ. Der durchschnittliche Restaurantbesucher musste also weniger lange warten, bis er sein Essen bekommen hat. Die meisten Geschäfte in den USA waren nämlich nicht geschlossen, ganz im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern. Trotzdem ist die Nachfrage so stark eingebrochen, dass die Kellner und Köche keine Probleme hatten, die Kunden zügig zu bedienen.

Wartezeiten geben Aufschluss über Nachfrage

Das änderte sich jedoch in den folgenden Monaten. Ab Juli 2020 stieg die Wartezeit kontinuierlich und stark an. Dieser Anstieg geschah also sehr früh – früher als die meisten Menschen gedacht hätten. Der Anstieg selbst hatte wahrscheinlich zwei Gründe: Erstens stieg die Nachfrage wieder stark an, zweitens haben viele Arbeitgeber ihre Angestellten entlassen. In den USA gab es nämlich, anders als bei uns, keine weit verbreitete Kurzarbeit. Die hohe Nachfrage, gekoppelt mit einem geringeren Angebot, erzeugte einen Nachfrageüberschuss. Wir vermuten, dass unsere geschätzte Wartezeit eben diesen Nachfrageüberschuss abbildet.

Die dritte Beobachtung ist, dass die Abnormale Wartezeit sehr lange hoch blieb. Abgesehen von einer Woche blieb die Abnormale Wartezeit bis zum Ende unserer Untersuchungsperiode über der Nulllinie, also bis November 2021. Es ist erstaunlich, dass es die meisten Restaurants fast eineinhalb Jahre lang nicht geschafft haben, mit neuem Personal, höheren Preisen, oder sonstigen Methoden die hohe Nachfrage zu bewältigen.

Falls abnormale Wartezeiten tatsächlich den Nachfrageüberschuss in einem Sektor messen, liegt es nahe, dass man damit auch die Inflation vorhersagen kann. Dies zeigen wir auch statistisch. Wir verwenden dazu Inflationsdaten für den Restaurantsektor in den größten amerikanischen Städten. Wir schätzen auch für jede Stadt einen eigenen Wartezeitindex. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Städte mit dem größten Anstieg in der Abnormalen Wartezeit genau die Städte sind, in denen der Preisindex für Restaurants stärker ansteigt.

Dieses Ergebnis ist deshalb überraschend, da wir für andere Faktoren kontrollieren, die die Preisentwicklung in einer Region beeinflussen könnten, wie zum Beispiel die städtische Arbeitslosenquote oder das regionale Wirtschaftswachstum.

Unsere Ergebnisse legen nahe, dass man in Zukunft vielleicht Mobilfunkdaten für eine genauere Inflationsprognose hinzuziehen kann. Unsere Studie ist jedoch erst der erste Schritt in diese Richtung. Bis zum nächsten Sommerurlaub sollte der gegenwärtige Inflationsdruck ohnehin ein wenig nachlassen. Aber wir sollten trotzdem versuchen, alle uns zur Verfügung stehenden Daten zu verwenden, um zukünftige Preisentwicklungen besser vorhersagen können.

Der Autor

András Danis ist Associate Professor am Department für Volkswirtschaftslehre an der Central European University in Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Finanzierung von Unternehmen sowie die Beziehungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern.

Referenzen

Taylor Begley (University of Kentucky), András Danis (Central European University), Daniel Rettl (University of Georgia), und Daniel Weagley (Georgia Institute of Technology): „Shadow Inflation“, 2023.

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