Gastkommentar

Die Kurz-Sichtigkeit von Österreichs Nahost-Politik

Peter Kufner
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Österreichs traditionelle Bemühungen um eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern sind wohl vorerst Geschichte.

Die in Österreich erfreulicherweise vorhandene Sympathie für Israel verdrängt offenbar die Tatsache, dass unsere jüngste Stimme gegen die Resolution der UNO-Generalversammlung für einen humanitären Waffenstillstand in Gaza eine entscheidende Zäsur unserer Nahostpolitik darstellt. Österreich hatte zuvor den richtigen und diplomatisch üblichen Versuch unternommen, die Resolution durch einen Textvorschlag zu verbessern, in dem die Hamas ausdrücklich als jene Organisation genannt worden wäre, die die Geiselnahme zur verantworten hat.

Dieses Amendment fand zwar eine relative, aber nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit der UN-Mitglieder. Während die weit überwiegende Mehrheit der Unterstützerstaaten des gescheiterten österreichischen Texts in der Folge für die Resolution votierten oder sich enthielten, stimmte der österreichische Botschafter dagegen.

Österreichs traditionelle Bemühungen um eine Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern sind damit wohl Geschichte. Die Regierung muss sich daher die Frage gefallen lassen, wie sie nun gemeinsam mit Papua-Neuguinea und den anderen mit uns stimmenden Kleinstaaten das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung erreichen möchte.

Oder wird es hier ein gemeinsames Vorgehen mit den im Übrigen auf Israel sehr beschwichtigend einwirkenden USA geben?

Frage politischer Empathie

Österreichs historische Verantwortung gegenüber Israel ist ein unbestreitbares Faktum. Die Parole „Nie wieder“ hat angesichts des unmenschlichen Hamas-Terrors gegen israelische Zivilisten am 7. Oktober eine schreckliche Aktualität erfahren. Daher kann das Recht Israels, für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen, nicht infrage gestellt werden. Es ist auch eine Frage politischer Empathie, sich zu vergegenwärtigen, welche Maßnahmen bei uns ergriffen würden, wenn bei uns mehr als 1200 Menschen unter ähnlichen Umständen ermordet worden wären. Das Gründungsversprechen Israels, den Schutz jüdischen Lebens zu garantieren, ist damit elementar infrage gestellt.

Wohl wegen des schlechten Gewissens aufgrund der FPÖ-Regierungsbeteiligung lehnte sich Österreich seit der Amtszeit von Sebastian Kurz an einen Leitsatz der deutschen Außenpolitik an und definierte Israels Sicherheit auch als österreichische Staatsräson. Doch was heißt dies konkret? Ist damit wie in Deutschland auch militärischer Beistand gemeint, im Krieg gegen die Hamas zum Beispiel die Lieferung von Drohnen und allenfalls auch ein Einsatz der Marine?

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Und Österreich? Aufgrund unserer neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen müssen wir auf politisches und humanitäres Engagement setzen. Dies sollte in Verbindung stehen mit jenen Prämissen österreichischer Außenpolitik, die in der Vergangenheit zu unserer Reputation beigetragen haben: allen voran die Stärkung des Multilateralismus, insbesondere der UNO. Seit Bruno Kreisky sind wir auch Sitzstaat, was eine besondere Verantwortung für die Organisation mit sich bringt. Zweitens die Stärkung des Völkerrechts, die – wie Alois Mock immer betont hat – im besonderen Interesse mittlerer und kleinerer Staaten ist. Drittens schließlich die Stärkung der außenpolitischen Gestaltungsmacht der EU, wie sie seit unserem Beitritt 1995 von allen Bundesregierungen proklamiert wurde. 

Leitlinien konterkariert

Bei genauer Betrachtung fällt jedoch auf, dass das jüngste Verhalten Österreichs diese Leitlinien konterkariert: Nicht nur wurde behauptet, es ginge darum, Solidarität mit Israel zu zeigen. Die Enthaltung Deutschlands darf als Beweis der Absurdität dieses Arguments gelten. Und obwohl richtig ist, dass sich die Generalversammlung im Vergleich mit anderen Konflikten auffallend häufig mit der ungelösten Palästinenserfrage auseinandersetzt, hat Österreich mit seinem Abstimmungsverhalten auch die ungerechtfertigten Angriffe Israels auf den UN-Generalsekretär in Kauf genommen, dessen ehrliche Bemühungen um eine Konfliktlösung Anerkennung finden.

Das führt zur zweiten Prämisse: Österreich hat den völkerrechtlichen Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten seit Jahrzehnten zu einem zentralen Punkt seiner multilateralen Initiativen gemacht. Die Forderung nach einem humanitären Waffenstillstand entspräche jetzt dieser Haltung. Stand unmittelbar nach dem 7. Oktober der Schutz der israelischen Bevölkerung im Vordergrund, stellt sich die Situation zwei Monate nach Beginn des Gaza-Krieges anders dar. Zahlreiche Analysen internationaler Beobachter und auch Aussagen des UNO-Hochkommissars für Menschenrechte, des Österreichers Volker Türk, deuten darauf hin, dass das Vorgehen Israels dem zugegeben schwierigen Anspruch, bei seinem militärischen Vorgehen in Gaza humanitäres Völkerrecht einzuhalten, auch nach der Waffenpause und der Freilassung von mehr als 100 Geiseln nicht genügt. Türk fordert, „die Gewalt zu beenden und eine politische Lösung zu finden, die auf der einzigen langfristig tragfähigen Grundlage beruht – der uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte von Palästinensern und Israelis“. Der österreichische Außenminister fungierte 2019 noch als stolzer Gastgeber der Wiener Konferenz zum Schutz von Zivilisten in urbanen Kriegsgebieten und betonte „das inakzeptable Leid von Zivilisten in dieser Form des Krieges“. Er forderte die Staatengemeinschaft auf, konkrete Maßnahmen zu setzen, um die Verwendung von Explosivwaffen mit einem großen Wirkungskreis in dicht bewohnten Gebieten zu vermeiden. Wie glaubwürdig werden zukünftige Wortmeldungen zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts wahrgenommen werden?

Gefährliches Fahrwasser

Auch Österreichs deklariertes Ziel, die EU außenpolitisch zu stärken, hat durch dieses Stimmverhalten Schaden genommen. Es erinnert fatal an das skandalöse Ausscheren der Regierung Kurz I aus den UNO-Verhandlungen zum Migrationspakt. Die Verwendung von Formulierungen der rechtsextremen Identitären in diesem Ministerratsvortrag stellt einen Tiefpunkt der österreichischen Politik dar. Erneut hat sich Österreich nun von der bewährten Strategie verabschiedet, mit einer europäischen Stimme in den Vereinten Nationen zu sprechen, die bis über ein Viertel der UNO-Mitgliedstaaten in ihrem Stimmverhalten bewegen kann. Stattdessen brüstet sich die Regierung mit einem absoluten Minderheitenvotum. Wie soll Brüssel in der europäischen Nachbarregion Nahost „vom Payer zum Player“ – und damit zum politischen Akteur – werden, wenn Österreich dies torpediert? Hier mangelt es an europäischer Verantwortung.

Österreichs Außenpolitik ist seit der türkis-blauen Regierung Kurz I nicht nur im Nahen Osten in ein gefährliches Fahrwasser populistischer Impulse geraten. Sie bedarf in Zeiten fundamentaler Umbrüche dringend eines ernsthaften und demokratischen Diskurses, um die Herausforderungen dieser Zeitenwende zu bewältigen.

Hinweis: Die Initiative Demokratische Außenpolitik wurde von ehemaligen und aktiven SPÖ-Mitgliedern ins Leben gerufen, darunter auch Ex-Botschafterin Eva Nowotny und Nikolaus Kowall (Sektion 8).

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<strong>Wolfgang Petritsch</strong> (* 1947) ist Diplomat, war u.a. Pressesprecher von SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky und ist im Beirat der Initiative Demokratische Außenpolitik. Er ist Autor einiger Bücher, u.a.: „Epochenwechsel“ (Christian Brandstätter Verlag).
Wolfgang Petritsch (* 1947) ist Diplomat, war u.a. Pressesprecher von SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky und ist im Beirat der Initiative Demokratische Außenpolitik. Er ist Autor einiger Bücher, u.a.: „Epochenwechsel“ (Christian Brandstätter Verlag).Beigestellt.
<strong>Helfried Carl</strong> (* 1969) ist Sprecher der Initiative Demokratische Außenpolitik. Er war nach Jahren als Büroleiter von Nationalratspräsidentin Bar­bara Prammer (SPÖ) Botschafter in der Slowakei.
Helfried Carl (* 1969) ist Sprecher der Initiative Demokratische Außenpolitik. Er war nach Jahren als Büroleiter von Nationalratspräsidentin Bar­bara Prammer (SPÖ) Botschafter in der Slowakei.Beigestellt.

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