Wort der Woche

Sharing ist nicht immer „grüner“

Nutzen statt Besitzen: Die moderne Art des Teilens – genannt „Sharing Economy“ – ist nicht notwendigerweise ressourceneffizienter und umweltschonender. 

Als „Sharing Economy“ bezeichnet man das systematische Ausleihen von Gegenständen bzw. das gemeinsame Nutzen von Ressourcen. Dies hat, so der Grundgedanke, viele Vorteile: Ein Auto z. B. steht 95 Prozent der Zeit einfach herum – wenn es in dieser Zeit von anderen Menschen genutzt wird, würde man dadurch sowohl Kosten als auch Material und Energie für die Produktion zusätzlicher Autos sparen.

Diese Idee – Nutzen statt Besitzen – ist nicht neu: Schon früher war „Sharen“ gang und gäbe, etwa in Genossenschaften, Mitfahrbörsen oder Maschinenringen. Neu ist, dass digitale Technologien das Teilen zu einem Massenphänomen machten, weil Angebot und Nachfrage heute so einfach wie nie zuvor zusammengeführt werden können. Das brachte auch neue Geschäftsmodelle und zahlreiche kommerzielle Plattformen hervor, die stark wachsen: Laut Schätzungen wurden in der „Sharing Economy“ im Jahr 2021 gut 110 Mrd. Dollar umgesetzt, für 2027 werden 600 Mrd. Dollar erwartet.

Aus einer guten Idee wurde also ein großes Geschäft. Unbeachtet blieb, ob diese Art von „Sharing“ die ursprünglich gehegten Erwartungen im Hinblick auf Ressourceneffizienz erfüllt. Das haben sich nun Forscherinnen um Tamar Meshulam und Tamar Makov (Ben Gurion University of the Negev) angesehen: Sie haben mehr als 150 Detailstudien zu verschiedenen Aspekten der „Sharing Economy“ ausgewertet und kamen zu dem klaren Ergebnis, dass Teilen nicht notwendigerweise „grün“, sondern in vielen Fällen sogar ökologisch nachteilig ist (Environmental Research Letters, 15.12.).

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens führt ein neues Angebot zu Verhaltensänderungen: So nutzen etwa viele Menschen E-Scooter nicht als Ersatz für Autos, sondern gehen weniger zu Fuß oder fahren weniger mit Öffis. Zweitens sind Sharing-Angebote meist mit weiteren Aktivitäten verknüpft – das Verleihen von Brautkleidern z. B. erfordert auch Transport und Reinigung. Ein drittes Problem ist der sogenannte Rebound-Effekt: Weil Airbnb-Zimmer günstiger sind, fahren Menschen häufiger und länger auf Urlaub. Überdies – und dieser vierte Punkt wiegt besonders schwer: Die neuen Möglichkeiten, durch Verleihen Geld verdienen zu können, bieten einen Anreiz, dass zusätzliche Güter (wie etwa Fahrräder, Autos oder Wohnungen) extra angeschafft bzw. gebaut werden. Dies konterkariert den ursprünglichen Gedanken einer effizienteren Nutzung vorhandener Ressourcen völlig.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist nun Wissenschaftskommunikator am AIT.

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diepresse.com/wortderwoche

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