Gastkommentar

Schallenbergs unrühmliche Rolle

Im Nahost-Krieg nimmt das neutrale Österreich eine Eskalationsspirale aus Gründen der „Staatsraison“ in Kauf.

Mitte Dezember wurde in der UNO-Vollversammlung über eine Waffenruhe im Gazastreifen abgestimmt. Neben Tschechien war Österreich als einziges EU-Mitglied dagegen. Der Schritt ist die Fortsetzung eines engen Bündnisses mit Israels Premier Benjamin Netanjahu, das Ex-Kanzler Sebastian Kurz ins Leben rief und an dem Außenminister Alexander Schallenberg festhalten will. Trotz der rechtmäßigen Verurteilung und Verfolgung der terroristischen Hamas ist die Botschaft, die Schallenberg als Vertreter eines neutralen Staates der Welt vermittelt, aber unrühmlich.

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Vor mehr als fünf Jahren bekundete Sebastian Kurz, damals noch Bundeskanzler, dass Israels Sicherheit als Teil der „Staatsraison“ zu sehen sei. Damit folgte er einer Erklärung von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Der vielzitierte Satz, dass Österreich ab sofort die „proisraelischste Regierung aller Zeiten“ habe, begründete sich allerdings nicht durch ein starkes Engagement im Nahen Osten oder ein Verständnis für Israel.

Er wirkte vielmehr wie das Freundschaftsbekenntnis eines aufstrebenden österreichischen Regierungschefs zu Netanjahu, dem wohl umstrittensten Ministerpräsidenten, den Israel je hatte.

Kein Freibrief für Netanjahu

Außenminister Schallenberg hat sich seit der Umbildung der ÖVP-Grünen-Regierung nie wirklich von Kurz distanziert. Auch er stärkt Netanjahu vorbehaltslos den Rücken – trotz aller UNO-Aufrufe und zunehmender internationaler Warnungen vor einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen.

Der Angriff der Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 ist ohne Frage auf das Schärfste zu verurteilen. Das Leid, das dadurch den Opfern und Angehörigen der Familien zugefügt wurde, sollte jedoch kein Freibrief für Netanjahu sein, die Region in einen anhaltenden Krieg zu verwickeln, mit Tausenden zivilen Opfern – in Israel, in Gaza, im Westjordanland und den Nachbarländern – als Folge.

Der Terroranschlag vom 7. Oktober wird oft mit den „9/11“-Angriffen in den USA gleichgesetzt. Womöglich erwartete sich Netanjahu wie damals US-Präsident George W. Bush mit seiner militärischen Antwort einen ähnlichen Nebeneffekt: die Zunahme seiner Beliebtheitswerte. Abgesehen von Tausenden Demonstranten, die regelmäßig gegen seine Justizreform auf die Straße gingen, lehnten im Frühjahr 2023 rund 52 Prozent der Israelis ihren Premier ab, wie eine Umfrage des Pew Research Centers ergab..

Hoffen auf „Bush-Effekt“

Doch der erwünschte „Bush-Effekt“ – ein Hochschnellen von Netanjahus Popularität angesichts einer Bedrohung von außen – trat nicht ein. Laut neueren Umfragen sanken seine Beliebtheitswerte nach den Attentaten sogar. Die Öffentlichkeit fordert, dass der Premier die volle Verantwortung für die schlechten Sicherheitsvorkehrungen übernehmen solle, schrieb etwa die „Jerusalem Post“.

Während US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sich aktiv für ein Ende der intensiven Bodenoffensive und der Luftangriffe im Süden Gazas einsetzt, nimmt das neutrale Österreich eine Eskalationsspirale aus Gründen der „Staatsraison“ weiterhin in Kauf. Die Vernichtung der Hamas wird aber ohne die Unterstützung der arabischen Nachbarn nicht gelingen.

Eine Kritik am Vorgehen Netanjahus ist keineswegs mit der Parteiergreifung für die Hamas oder mit Antisemitismus gleichzusetzen. Das sollte Schallenberg, dem wohl bald scheidenden Außenminister, bewusst sein.

Stefan Haderer (* 1983) ist Kulturanthropologe und Politik­wissenschaftler. 2023 erschien sein Buch: „Perspektivenwechsel: Beobachtungen im Jahrzehnt des Wandels“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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