Morgenglosse

Diese Wahl ist Erdoğans persönliche Angelegenheit

Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan, stellt Murat Kurum (l.) als Kandidaten vor.
Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan, stellt Murat Kurum (l.) als Kandidaten vor. APA / AFP / Yasin Akgul
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Die regierende AKP schickt einen jungen Parteisoldaten ins Rennen um den Istanbuler Bürgermeistersitz. Doch dieser läuft Gefahr, im Wahlkampf nur ein Statist zu bleiben.

Nun also Murat Kurum. Ein 47-jähriger Ingenieur, Abgeordneter, bis zum vergangenen Jahr Umwelt- und Bauminister der AKP-Regierung. Leichtfüßig betrat Kurum am Sonntag in einem Istanbuler Kongresszentrum die blau gehaltene Bühne, um sich als Kandidat von Präsident Recep Tayyip Erdoğan öffentlich absegnen zu lassen. „Jung, dynamisch, entschlossen“, lautete das auf Kurum zugeschnittene Motto. Sowohl die Stimmung, als auch die Aufmachung im Kongresszentrum erinnerten nicht zufällig an US-amerikanische Megawahlkämpfe. Denn Kurum fällt nun die Aufgabe zu, für die AKP die Stadt Istanbul zurückgewinnen.

Die Bekanntgabe des Istanbuler Kandidaten für die türkische Kommunalwahl im Frühjahr war mit Spannung erwartet worden. Vor fünf Jahren eroberte der Sozialdemokrat Ekrem Imamoğlu nach mehr als zwei Jahrzehnen AKP-Herrschaft den Bürgermeisterposten in der Finanz- und Kulturmetropole. Ein derart bitteres Ergebnis konnte Erdoğan nicht wortlos hinnehmen, er ließ die Wahl sogar wiederholen. Der Verlust Istanbuls hat den allmächtigen AKP-Chef tief erschüttert. Istanbul war immer die Spielwiese für seine Prestigeprojekte, sein politischer Referenzpunkt. Schließlich begann Erdoğan seine Karriere als Istanbuler Bürgermeister den 1990er Jahren, dieses Amt ist eine persönliche Angelegenheit.

Mit Imamoğlu steht nun ein Gegner auf der anderen Seite, der als politisches Ausnahmetalent gehandelt wird. Aktuellen Umfragen zufolge wird sich der Sozialdemokrat erneut behaupten können. Erdoğan hat inzwischen die Justiz auf Imamoğlu gesetzt, um ihn politisch handlungsunfähig zu machen – noch ist eine 2022 verhängte Haftstrafe gegen ihn nicht rechtskräftig. Um gegen den immer beliebter werdenden Imamoğlu antreten zu können, hat die AKP lange an einer Strategie getüftelt. Zwischenzeitlich dürfte Erdoğan überlegt haben, seinen Schwiegersohn Selçuk Bayraktar ins Rennen zu schicken, doch sollte dessen politische Zukunft nicht aufs Spiel gesetzt werden (Bayraktar gilt als ein möglicher Erdoğan-Erbe).

Das Erdbeben als Wahlkampfthema

Und so fiel die Wahl auf Murat Kurum. Ein höflich auftretender, loyaler Parteisoldat. Dabei ist Kurum nur vordergründig der Kandidat, denn die Rückeroberung Istanbuls wird zur Chefsache werden: Imamoğlu gegen Erdoğan. Riskant ist die Kandidatur Kurums trotzdem, denn als Umweltminister hat er im Rahmen einer Bauamnestie hunderttausende gesetzeswidrig errichtete Gebäude legalisiert. Ob und wie viele davon im Erdbebengebiet zerstört wurden, wird sicherlich ein Wahlkampfthema werden. Zumal Experten auch Istanbul als akut erdbebengefährdet einstufen.

„Wer Istanbul regiert, regiert die Türkei“ lautet eine alte Redewendung, und sie ist auch diesmal wörtlich zu nehmen. Imamoğlu will dereinst Präsident werden. Erdoğan will während seiner (theoretisch) letzten Amtszeit die Metropolen Istanbul, Ankara, Antalya und einige mehr zurückerobern – und als ewiger Sieger in die Geschichte eingehen. In den mehr als 20 Millionenstädten leben fast 80 Prozent der Einwohner des Landes. Die AKP will unbedingt verhindern, dass die Opposition noch mehr Städte gewinnt und somit über mehr Menschen regiert. Mit dem Verlust von nur zwei bis drei weiteren Metropolen könnte dieses Szenario Realität werden.

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