Der ökonomische Blick

Zuversicht für 2024? Die wirtschaftlichen Aussichten sind gar nicht so schlecht

Zuversicht wünschte uns Bundespräsident Van der Bellen in seiner Neujahresansprache. Dabei sind die wirtschaftlichen Aussichten doch gar nicht so schlecht.
Zuversicht wünschte uns Bundespräsident Van der Bellen in seiner Neujahresansprache. Dabei sind die wirtschaftlichen Aussichten doch gar nicht so schlecht.Volker Preusser via www.imago-images.de
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Beim Blick auf die Rahmendaten fällt es schwer, den Zukunftspessimismus und die Verlustängste in der Bevölkerung zu erklären. Die Situation derzeit erinnert ein wenig an den Jahresbeginn 2013.

Zuversicht wünschte uns Bundespräsident Van der Bellen in seiner Neujahresansprache. Es ist ihm ein Anliegen, uns unsere Stärken vor Augen zu halten und einem weit verbreiteten Pessimismus entgegenzutreten. Auch Petra Stuiber vom „Standard“ sucht nach Hoffnung für 2024. Dabei sind die wirtschaftlichen Aussichten doch gar nicht so schlecht.

Mich erinnert die Situation derzeit ein wenig an den Jahresbeginn 2013. Auch damals waren wir kurz vorher kraftvoll aus der stärksten Rezession seit dem 2. Weltkrieg, damals der Finanzkrise, herausgekommen. Der doch herbe Rückschlag von 2009 war, wie der von 2020, schnell wettgemacht.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Danach aber folgte eine Eintrübung, eine milde Rezession. 2012 waren es die Eurokrise und die gestiegenen Energiepreise, 2023 waren es noch höhere Energiepreise und die Inflation. Das Ende des verarbeitenden Gewerbes wurde damals wie heute befürchtet. Zum Jahreswechsel 2012/13 war die Talsohle der Rezession schon durchschritten, Ende 2023 war sie es auch.

Wachstum dürfte zu langjährigem Trend zurückehren

Der positive Ausblick, den das Wifo 2012 gab, hat sich bestätigt. 1,6 Prozent reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts bis 2016 haben die Konjunkturforscher prognostiziert. 1,5 Prozent sind es geworden. 1,5 Prozent reales Wachstum ist der langjährige Trend in Österreich seit der Finanzkrise. Zu diesem findet Österreich mittelfristig zurück, prognostizierten die Wifo-Forscher Ende 2023. Dass das Wirtschaftswachstum nicht stärker ausfällt, liegt am Arbeitskräftemangel. Für mich, als einen derjenigen, die in Zeiten erhöhter Arbeitslosigkeit sozialisiert sind, sind das überschaubare Sorgen.

Diese Sorgen wären ohne die kräftige Zuwanderung in den letzten Jahren noch größer. Seit gut zehn Jahren liegt der Zuzug aus dem EU-Ausland jährlich etwa 30.000 bis 40.000 Menschen über dem Wegzug ins EU-Ausland. Migrant:innen aus den EU-Ländern sind im Schnitt jünger als die österreichische Bevölkerung, sind weniger von Arbeitslosigkeit betroffen und haben ein höheres Qualifikationsniveau. Etwa die Hälfte bleibt langfristig in Österreich, das heißt mehr als fünf Jahre.

Inflation und Budgetdefizit gehen zurück

Die Inflation geht zurück, das Budgetdefizit ebenfalls. Die Schuldenquote zum Bruttoinlandsprodukt wird sich zügig verringern und wieder unter 70 Prozent fallen. Von den makroökonomischen Rahmendaten her, ist schwer zu sehen, woher Zukunftspessimismus und Verlustängste kommen. Vielleicht ist die Liste der Risiken der beiden Prognosen ein Fingerzeig. Sie sind doch sehr unterschiedlich lang und divers. 2012 war es die Eurokrise in all ihren Facetten (Fiskalpolitik, Finanzmarktstabilität, Geldpolitik), die das Risiko darstellte. Die Liste von 2023 ist deutlich länger, diverser und hat viel mehr politische Risiken, die weit außerhalb des Einflusses einer Österreicherin oder eines Österreichers liegen. Spiegel-Kolumnist Hendrik Müllers Risikoindex zeigt für Deutschland etwas Ähnliches: Ein Unsicherheitsgemisch hat sich zusammengebraut, bei dem die empfundene Unsicherheit nicht mehr einzelnen Ereignissen zuzuordnen ist. Das Diffuse macht es so schwer, damit umzugehen. „Möge 2024 noch besser werden als Sie es erwarten“, wünschte der Bundespräsident sich und uns zum Abschluss seiner Neujahresansprache dazu passend.

Die Bevölkerung ist nicht so zerrissen, wie es scheint

Der Hauptwunsch des Bundespräsidenten betrifft aber die Debattenkultur. Seit einiger Zeit schon vermitteln emotional hitzig geführte Debatten das Bild einer polarisierten Gesellschaft. Das ist hier nicht anders als in anderen europäischen Ländern. Zu Deutschland gibt es dazu eine interessante soziologische Studie von Steffen Mau und Koautoren. Die Autoren verneinen trotz heftiger Debatten über einige wenige, emotionale Themen eine Polarisierung der Gesellschaft.

Vier große Themenblöcke -Einkommens- und Vermögensverteilung, Migration, Diversität und Klima -wurden dabei untersucht und ein erstaunlicher Konsens in weiten Teilen der Bevölkerung gefunden. Nur zu einzelnen Detailfragen werden die Debatten emotional, laut und mitunter auch unlauter geführt. Das ergibt das Bild der Zerrissenheit, das aber gar nicht zutrifft. Wenn Sie jetzt den Eindruck haben, dass sich das mit Ihren persönlichen Erfahrungen deckt, wissen Sie nun auch, dass es nicht an der Blase liegt, in der Sie leben. Das ist doch auch eine Erkenntnis, die zuversichtlich macht.

Der Autor

Jörn Kleinert, geboren 1970 in Berlin, ist Volkswirt mit einer Spezialisierung auf die Internationale Ökonomik und nach Stationen in Kiel und Tübingen seit 2010 Professor an der Universität Graz.

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