Film

„Rickerl“ mit Voodoo Jürgens: Die Kehrseite des Austropop-Idylls

Strawanzer Rickerl (Voodoo Jürgens) möchte seinem Sohn ein liebevoller Vater sein.
Strawanzer Rickerl (Voodoo Jürgens) möchte seinem Sohn ein liebevoller Vater sein.Alessio M. Schroder
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David Öllerer – aka Voodoo Jürgens – schlüpft in Adrian Goigingers „Rickerl“ in die maßgeschneiderte Rolle eines Beisl-Musikanten. Eine mundartliche Film-Ode an ein „potschertes Lem“.

Eine Gitarre wird gestimmt, das ungeduldige Publikum beginnt zu raunen. „Jo, I bin’s eh glei, I hob nua no exhumieren miassn“, murmelt der Protagonist, ohne sichtbar zu sein. Die Leinwand ist noch finster, was die Erwartungen ein „Alzerl“ höher schraubt. Dann, ein paar Sekunden später, brennt sich das Anfangstableau in die Augen: Ein Lagerraum, der aussieht wie das Hinterzimmer eines Wiener Tschocherl, also einer recht tiefen Sorte von Gastwirtschaft, kitzelt die Netzhaut. Das Licht ist diffus. „Wehauweh“, das Lied, das gegeben wird, ist idealer Anlaut für den Reigen an zornig-melancholischen Liedern des Voodoo Jürgens, an dem sich Regisseur Adrian Goiginger entlang hangelt, um seine Geschichte zu erzählen.

Seine Geschichte? Der Kunstgriff der Autofiktion erlaubt es, dass er Selbsterlebtes dem hinzufügt, was sonst so ziemlich mit der Biografie des 40-jährigen David Öllerer, der unter dem Signet Voodoo Jürgens späte Karriere gemacht hat, übereinstimmt. Das eigene Leben nochmals als Fiktion zu leben, das hat wohl mit Psychohygiene zu tun. Die Differenzen zwischen Realität und Fiktion sind jedenfalls marginal. So wird etwa aus dem Friedhofsgärtner Öllerer der Totengräber Rickerl.

Pappnschlosser und Ohrwaschlkräuler

Was der gebürtige Tullner im übertragenen Sinn exhumiert, das ist der tiefe Wiener Dialekt. Was er auf seinen bislang drei Alben tat, das praktiziert er auch in diesem liebevoll inszenierten Film. Er gräbt Worte aus, die de facto tot sind, weil der lokale Dialekt durch Deutschrap und bundesdeutsche Filmsynchronisierungsfirmen radikal an Terrain verloren hat. In den Songs tauchen Ausdrücke wie „Stereowatsch’n“ und „Pappnschlosser“ auf. Derlei leuchtende Worte setzt er in Musik. Er produziert aus seinen Gefühlen und Gedanken, um in seiner Diktion zu bleiben, „Ohrwaschlkräuler“, also Ohrwürmer.

Diese bewegen sich, wie auch der Film, in der unheiligen Dreifaltigkeit des Proletariats, als es dieses noch wirklich gegeben hat: Glücksspiel, Alkohol und Rauch. Die Nikotinschwaden, die die Szenen als bewegliche Dekoration begleiten, sind zudem ein Fanal auf die fast verschwundenen Tschecherln und Tschocherln dieser Stadt. Nebenbei bohrt der Untertitel des Films, „Musik ist höchstens a Hobby“, in einer schwelenden Wunde der hiesigen Popmusik. Für das Gros der hiesigen Künstler reicht es kaum zum Überleben. Öllerer hat selbst eine lange Phase der Erfolglosigkeit mit seiner Garagenrockband Die Eternias durchlebt. Die Figur des Rickerl muss sich auf ähnliche Weise durchg’frettn.

Die Mutter seines Sohns hat einen neuen Freund, der sich als guter „Provider“ erweist, wie es auf Neudeutsch heißt. Rickerl grundelt ziemlich herum. In der Halbfett’n versucht er zwischen den Forderungen des Arbeitsamts, der Ex und des Musikmanagers zurechtzukommen. Letzterer wurde vom Autor und Tausendsassa Georg Biron grandios angelegt. Hinter seiner vorgeblichen Schroffheit wird viel Liebe fürs „potscherte Lem“ von Rickerl spürbar. Grandios sind auch die Szenen am Arbeitsamt. Die Beamtin, die es eigentlich gut meint mit ihrem Schützling, wird von diesem abgelehnt, weil sie ihn von seiner musikalischen Mission abbringen möchte.

Einen Job im Sexshop nimmt Rickerl zunächst noch an. Weil er diese „Hockn“ aber rasch verliert, weil er das Geschäft wegen eines privaten Problems spontan bei offener Türe verlässt. So geht’s einfach nicht. Und die Lektionen, die er seinem geliebten Sohn erteilt, sind, freundlich gesagt, ambivalent. Gemeinsam irrlichtern sie durch die Stadt und ihre nikotingeschwängerten Rückzugsorte. Wenn selbst die eigenen Freunde zu lebensbejahenden Texten anregen, dann helfen dem Rickerl nur Doppler und Schnaps.

Am Ende singt Wolfgang Ambros

Zum vermittelten Casting in einer ORF-Talentesendung kommt es in letzter Sekunde nicht. Einzig, weil Rickerl dort vor dem Foyer den Sangeskollegen Nino aus Wien trifft, der sich überzeugend als blasierter Lokalstar geriert. Einen weiteren intensiven Cameo-Auftritt legt Dialekt-Poet Alex Miksch hin. Zudem begleiten Musiker aus Willi Resetarits’ Stubnblues-Band Rickerl bei einem kommerziellen Gig. Als er abweicht vom bewährten Austropop-Programm, beginnt es am Tanzboden zu „wurln“ – und die Hochzeitsgäste hauen sich in die „Papp’n.“ Eine der schönsten Szenen des Films, weil da der Widerstandsgeist des traurigen Helden erwacht. Und er das Lied justament zu Ende singt.

Liebevoll vagabundiert er mit seinem Sohn durch Plätze, die keiner Mutter recht sein können. Und doch spürt man im subtilen Spiel von Agnes Hausmann, dass da noch viel Liebe schlummert. Der Pragmatismus der Ex ist, trotz eines erotischen Rückfalls, alternativlos. Selbst als die Zeichen gegen Ende auf möglichem künstlerischem Erfolg stehen. Dem etwas zu kitschigen Ende folgt ein lehrreicher Abspann: Da singt Wolfgang Ambros „I bin miad“, eine seiner schönsten Elegien. Sie passt auf Rickerl genauso wie auf Voodoo Jürgens: „I geh schlofn, weu i bin miad. Und i schlof und i dram, I dram von an Liad.“

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