Unterwegs

Wer sich über Nachtzüge beschwert, hat das Konzept nicht verstanden

Wer will schon in eindreiviertel Stunden nach Amsterdam fliegen, wenn‘s auch in 14 Stunden auf der Schiene geht?
Wer will schon in eindreiviertel Stunden nach Amsterdam fliegen, wenn‘s auch in 14 Stunden auf der Schiene geht?Imago / Andreas Stroh
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Verspätungen, Pannen, Ausfälle: Die ÖBB ernten mit ihren Nightjets viel Kritik. Tun wir ihnen unrecht?

Einst, in wilden, seligen Zeiten, gab es Postkutschen, die regelmäßig von romantischen Räubern überfallen wurden. Wie aufregend! Später gab es unberechenbare Automobile, deren Insassen zittern durften, wann ein Reifen platzt oder der Motor bockt.

Heute sind Kraftfahrzeuge langweilig störungsarm, und Flugzeuge erst recht. Aber dafür Klimakiller, was viele auf den Nachtzug umsteigen lässt. Es steckt ja viel Charme in der Idee, man könne nach erquickendem Schlaf in ruckelnden Waggons schon morgens durch Rom, Zürich oder Genua flanieren. Tatsächlich wird es dann eher Mittag. Oder Nachmittag.

Denn die Nightjets sind notorisch unpünktlich. Wer als Nachtzügler so wagemutig ist, bei der Rückfahrt keinen Puffertag einzuplanen, kennt den belebenden Schauer: Der Wecker läutet statt kurz vor Wien irgendwo bei Knittelfeld oder Straßwalchen, und jäh durchzuckt dich die Erkenntnis: Ich versäume drei Termine, die Chefin wird toben. Aber das sind nicht die einzigen Attraktionen, mit denen Matthäs Truppe unser Blut in Wallung hält: defekte Klos, Sitzplatz statt Schlafwagen, ausgefallene Züge. Für dieses Unwohlfühlpaket hat die Bahn nun kräftig die Preise erhöht und dabei die Fluglinien überflügelt. Worüber sich manche kleinlich aufregen.

Schaut doch eh so gemütlich aus.
Schaut doch eh so gemütlich aus.Imago / Andreas Stroh

Sie haben das Konzept nicht verstanden: Ein Abenteuertrip kostet eben mehr als ein ereignisloser Standardurlaub. Wer sich durch den Urwald kämpft, hat später mehr zu erzählen als die Kollegen, die nur am Strand rumlagen. Und das privilegierte Gefühl der Partyjugend, der Schlaf nichts bedeutet, kann sich nun jeder erkaufen, der es sich noch leisten kann: Atemlos durch die Nacht. Danke, ÖBB.

Mail an: karl.gaulhofer@diepresse.com

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