Gastkommentar

1928 ist heute: Blaupausen der bösen Vergangenheit

Peter Kufner
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Bevor es zu spät ist. Die Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts sind in Deutschland und Österreich so aktuell wie lang nicht.

Ist die heutige Bundesrepublik Deutschland wirklich so viel stabiler, als es die Weimarer Republik zwischen 1919 und 1933 war? Kann das heutige Österreich mit seinem Erstarken der extremen Linken und Rechten, mit seiner unzufriedenen, gespaltenen Gesellschaft wirklich nichts aus der Zeit der Ersten Republik ableiten, was uns vor einer ähnlichen Entwicklung bewahrt? Ich denke, heute sind die Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts sowohl in Deutschland als auch in Österreich so aktuell wie lang nicht.

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Bei einem Treffen von Vertretern der AfD, der neu-rechten, rechtsextremen und rechtspopulistischen Szene im November 2023 in Potsdam berieten die Teilnehmer im Zusammenhang mit der rassistischen Umdeutung des Begriffs „Remigration“ ihre Pläne zur Abschiebung von Millionen Migrantinnen und Migranten bzw. deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund. Damit verbunden kreierten sie die hirnrissige Idee der Schaffung eines „Musterstaates“ in Nordafrika, in dem diese remigrierten Menschen angesiedelt werden könnten. Nicht von ungefähr erinnert dies fatal an den Plan der Nationalsozialisten von 1940, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Seither zeigen Hunderttausende Menschen ihre Ablehnung dieser absurden und menschenverachtenden Ideen bei Demonstrationen. Im Übrigen wäre ein ähnlich klarer Aufschrei gegen den antisemitischen Islamismus wünschenswert gewesen.

Kickl reizt verbale Grenzen aus

Wie reagiert FPÖ-Chef Herbert Kickl auf solche Ideen? Er distanziert sich nicht. Er wolle „eine Rechtslage erstellen“, um missliebigen, aber bereits eingebürgerten Personen die österreichische Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen, sagte er in der „ZiB 2“. Nachdem er nichts ohne konkrete Absicht formuliert, muss man fragen, was heißt „eine Rechtslage erstellen“? In einer Demokratie kann eine Rechtslage nur durch einen Beschluss der Mehrheit eines Parlaments geschaffen werden, was in diesem Fall schon wegen der Europäischen Menschenrechtskonvention gar nicht möglich wäre. In einer Diktatur dagegen wird sie wohl „erstellt“. Kickl testet ständig, wie weit er verbal die Grenzen ausreizen bzw. Richtung „extrem“ verschieben kann.

Keinerlei Grenzen kennt Kickl bei seinen Bierzeltreden, etwa bei seiner Neujahrsrede in Graz. Er verspricht die Befreiung vom bestehenden „System“, vom „Systemkanzler“, von den „Systemmedien“, wohl wissend, dass dies Begriffe waren, mit welchen die Nationalsozialisten abwertend und verächtlich die „Systemzeit“, die „Systemparteien“ und die „Systempolitiker“ in der deutschen Weimarer Republik und in Österreich bis zum „Anschluss“ 1938 bezeichneten. Kickl weiß das natürlich und hat keinen Genierer, diese nationalsozialistischen Diffamierungsbegriffe wiederzubeleben.

Medien schreiben Kickl herbei

Schließlich redete er in Graz vom „Abstreifen der Ketten“ und versprach seiner biergeschwängerten Zuhörerschaft: „Der Wahnsinn hat bald ein Ende, die Erlösung ist nahe“ – historisch Interessierten fällt sofort Hitlers „Erlösungspolitik“ ein. Er habe auch schon eine „Fahndungsliste“ von Politikern und Journalisten, wenn er an die Macht komme. Doch die nehmen ihn nicht ernst: Oppositionspolitiker gehen gar nicht auf ihn ein, Regierungspolitiker meinen, er habe nur eine „große Klappe“ und es sei nichts dahinter.

Es ist richtig, ihn als „Sicherheitsrisiko“ zu bezeichnen, aber es bedarf konkreter, inhaltlicher Begründung. Medien berichten täglich mit prickelndem Schaudern in großer Aufmachung über jede seiner Auslassungen und schreiben ihn so herbei. Manche Boulevardmedien versuchen sich schon zu arrangieren. Ich warne, auch wenn ich damit zum Kandidaten für die Liste werde: Auch wenn die ungustiöse Wiederbelebung der NS-Rhetorik „nur“ als Provokation gedacht ist, zeigt die Geschichte, dass aus Worten immer wieder Taten wurden. So wurde Hitler vom „Volkskanzler“ zum „Führer“. So wurde aus Drohungen der erste „Prominententransport“ nach Dachau.

Da kommt übrigens zur rechten Zeit eine Meldung aus den USA: Für den Fall einer neuerlichen Wahl Donald Trumps wird von seinen Beratern bereits von „Verfolgung“ der Presse gesprochen, es ist die Rede von „Vergeltung“ gegen seine Widersacher. „Echte Strafverfolgung und Haftung“ sind „nicht bloß Rhetorik. Wir meinen es absolut todernst“. Man werde „ausschwärmen und die Verschwörer finden, nicht nur in der Regierung, sondern in den Medien. Ja, wir werden die Leute in den Medien verfolgen, die Joe Biden geholfen haben, die Wahl zu manipulieren“, so Kash Patel, der wohl eine maßgebliche Rolle in einer Regierung Trump II spielen würde. „Wir setzen sie alle hiervon in Kenntnis.“

Mir geht es bei all dem nicht um die FPÖ als solche. In ihren Reihen gibt es sehr viele, die keine radikalen Hasser und Droher sind, sondern kompromiss- und kooperationsbereit. Praktische Beispiele gibt es genug. Es geht um die derzeitige Spitze. Kickl geht weit über das, was die Menschen jetzt bewegt, hinaus. Er geht an die Grenzen unserer Demokratie und, wenn er kann, darüber hinaus. Wenn er Erfolg hat, gehen die anderen mit.

Er kündigt den Kampf gegen die Vereinten Nationen, gegen die Weltgesundheitsorganisation und gegen die EU an. Und wieder die Drohung: Wer von den Politikern der anderen Parteien die Interessen dieser internationalen Organisationen vertritt, sei „eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz“. In Wirklichkeit würde er Österreich in die vollkommene politische und wirtschaftliche Isolation treiben. Oder glaubt tatsächlich jemand, dass wir als einzelnes Land allein die großen Herausforderungen stemmen könnten?

Von linken Historikerinnen und Historikern höre und lese ich nichts. Sie verbeißen sich geifernd in das Lueger-Denkmal und das Dollfuß-Geburtshaus und übersehen dabei, was aktuell passiert. Sie wären zur Aufklärung der Menschen aufgerufen. Haben sie schon Angst davor, was kommen könnte?

Bürgerliche Mitte zerstört

Die linksliberale, selbstgerechte Lifestyle-Intelligenzija hat mit ihren hypermoralisierenden Political-Correctness- und Genderaktivitäten von 72 absurden Geschlechtervarianten bis zum geforderten Verbot des „Radetzkymarsches“ ganz entscheidend dazu beigetragen, dass inzwischen eine schweigende Mehrheit offensichtlich zur extremen Rechten abgewandert ist.

Dazu kommt noch, dass sich das gesamte linke und liberale Spektrum in Politik, Medien und Wissenschaft ausschließlich dazu verschworen hat, die bürgerlich-konservative Mitte zu zerstören, und dabei übersieht, dass es damit nur zum Erstarken des rechtsextremen Lagers beiträgt. Übrigens: In den Jahren zwischen den Kriegen fanden Linke und Nazis trotz aller rhetorischer Gegnerschaft immer wieder gemeinsame Bezugspunkte, wenn es um die Vernichtung des bürgerlichen Lagers ging.

1958 blickte der deutsche Schriftsteller Erich Kästner auf die Nazizeit zurück und kam zu dem Schluss: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät.“ 1928 ist heute!

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Der Autor:

Franz Schausberger (*1959) Univ.-Prof. für Neuere österreichische Geschichte, Präsident des Karl-von-Vogelsang-Instituts, Vorsitzender des Instituts der Regionen Europas, ÖVP-Landeshauptmann von Salzburg von 1996 bis 2004.

Franz Schausberger.
Franz Schausberger. Beigestellt.

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