Porträt

Sabine Kuegler: In den Urwald gehen, um Deutsche zu verstehen

Den Dschungel vermisst die deutsche Autorin Sabine Kuegler „nicht mehr so stark wie früher“.
Den Dschungel vermisst die deutsche Autorin Sabine Kuegler „nicht mehr so stark wie früher“. Clemens Fabry
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Als „Dschungelkind“ wurde Sabine Kuegler, die bei Indigenen aufwuchs, international bekannt. Ihr neues Buch erzählt über ihre Rückkehr in den Urwald und ihre Zerrissenheit zwischen zwei Welten.

Man sieht es der blonden Frau nicht an, dass sie Tiere mit Pfeil und Bogen erlegen kann. Dass sie sich dafür mit Schlamm einreibt, barfuß durch den Dschungel streicht. Bis sie das Wildschwein gefunden hat, das in dem Moment schon weiß, dass von Sabine Kuegler eine tödliche Gefahr ausgeht.

Dieselbe Frau sitzt nun in einem Wiener Kaffeehaus, trinkt ihren Cappuccino mit Schlag, und plötzlich erscheint einem diese Geschichte viel zu unglaublich, als dass sie wahr sein könnte. Bis Kuegler über ihr Leben als „Dschungelkind“ erzählt.

Kuegler war drei, als sie in den Dschungel in Westneuguinea zog. Ihre Eltern, Missionare und Sprachforscher, wollten den bis dahin noch unentdeckten Stamm der Fayu erforschen. Kuegler wuchs mit den Indigenen auf, bis sie 17 war und zuerst in die Schweiz und dann nach Deutschland zurückkehrte. Ihre Geschichte schrieb sie 2005 in dem internationalen Beststeller „Dschungelkind“ auf. In ihrem neuen Buch „Ich schwimme nicht mehr dort, wo die Krokodile sind“ erzählt sie von ihrer Zerrissenheit zwischen zwei Welten, ihren Schwierigkeiten, sich in der westlichen Welt zurechtzufinden, und ihrer neuerlichen Reise in den Urwald.

Denn die unglaubliche Geschichte von Kuegler war noch nicht vorbei. „Ich bin zurückgegangen, weil ich ein Heilmittel gesucht habe“, erzählt Kuegler der „Presse“. Für ihre schwere Krankheit, einen seltenen Parasiten, den sie sich bei einer ihrer Reisen zuzog und für den niemand eine Antwort hatte. „Ich hatte alles ausprobiert, ging von Arzt zu Arzt.“ Als die westlichen Mediziner sie aufgaben, beschloss sie, im Dschungel weiterzusuchen. „Ich habe nicht wirklich daran geglaubt, dass ich etwas finde. Es war der letzte Versuch.“ Nach vier Jahren stößt sie schließlich auf einen Schamanen, der ihr mit einem Rindenextrakt helfen kann.

Karte für das deutsche Leben

„Wenn ich hören würde, dass einer Person das alles geschieht, hätte ich auch meine Zweifel“, sagt Kuegler. Wenn sie erzählt, vertauscht sie ab und zu einen Artikel. Manchmal fallen ihr deutsche Wörter nicht ein, und sie ersetzt sie mit englischen. Jedenfalls glaubt man ihr.

Kuegler hat neben ihrer wiederhergestellten Gesundheit noch etwas anderes von ihrer zweiten Reise mitgenommen: „Ich habe zum ersten Mal verstanden, wie ich eigentlich bin.“ Lange Jahre habe sie sich im Westen nie wirklich zu Hause gefühlt. Erst als sie als Erwachsene die immensen Unterschiede zwischen jener Kultur, in der sie groß geworden war, und der westlichen, deutschen Kultur begriffen habe, habe sich das Gefühl eingestellt, angekommen zu sein. „Jetzt kann ich viel besser damit umgehen, weiß, wie man navigiert. Es ist, als hätte mir plötzlich jemand eine Karte gegeben.“

So habe sie lange Zeit Angst gehabt, Nein zu sagen. „Das Prinzip ‚Ich möchte das nicht‘ gibt es in der Stammeskultur nicht. Das musste ich erst lernen. Hier hat man die Freiheit zu entscheiden, was man im Leben machen möchte. Das ist vielleicht der größte Vorteil, abgesehen von dem schönen, luxuriösen Leben, natürlich.“ Im Urwald gebe es zwar keine individuelle Freiheit, dafür sei der damit einhergehende psychische Druck nicht so stark. „Man muss nicht alles selbst tragen: die Verantwortung fürs Essen, fürs Überleben. Die Gemeinschaft trägt dich mit.“

Anders sei auch die Kommunikation. In der melanesischen Kultur, zu der auch Westneuguinea gehört, gebe es zum Beispiel keine Fragen. „Man erzählt etwas von sich, dann erfährt man etwas über die andere Person“, erzählt Kuegler. „Hier im Westen habe ich auch so kommuniziert. Ich habe über mich erzählt und erzählt, es kam aber nichts zurück. Irgendwann sagte jemand zu mir: ‚Sabine, du redest immer nur über dich. Ich war schockiert.“

Fremden behilflich sein

Durch ihre eigenen Erfahrungen ist Kuegler der Meinung, dass man auch gegenüber Einwanderern mehr Verständnis aufbringen müsse. „Es ist überwältigend, wenn man in eine Kultur kommt, in der Zeit so eine wahnsinnig große Rolle spielt“, sagt sie etwa über Deutschland. Ja, Migranten müssten sich anpassen, sagt Kuegler, aber man sollte ihnen viel mehr behilflich sein.

Auch Kuegler hätte sich als 17-jähriges Dschungelkind mehr Hilfe gewünscht. Deshalb habe sie nun auch dieses Buch geschrieben. „Vielleicht ist es genau die Sache, die jemand anderem hilft.“

In den Dschungel möchte Kuegler, die sich derzeit auch in der Entwicklungszusammenarbeit engagiert und mit Projekten Armut auf den Salomoninseln bekämpfen will, erst einmal nicht zurück. „Ich vermisse ihn nicht mehr so stark wie früher.“ Ausschließen würde sie es aber nicht. „Wenn ich zurückgehe, bin ich wieder eine Frau der Fayu.“

Zur Person

Sabine Kuegler wurde als Kind von deutschen Sprachforschern und Missionaren 1972 in Nepal geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie größtenteils im Dschungel von Westneuguinea, bis sie als 17-Jährige auf ein Schweizer Internat geschickt wurde. Heute lebt Kuegler mit ihren vier Kindern in Deutschland. Ihr fünftes Buch, „Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind“, erschien Ende 2023 im Westend Verlag.

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