Ordinationen

„Nehammer-Stellen“ und „Lippenbekenntnisse“: Ärztekammer kritisiert Regierung

Die Pläne von Kanzler Nehammer, Hunderte neue Kassenstellen bereitzustellen, sind für die Ärztekammer nicht ausgereift.
Die Pläne von Kanzler Nehammer, Hunderte neue Kassenstellen bereitzustellen, sind für die Ärztekammer nicht ausgereift.Fabry
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Wesentliche Fragen hinsichtlich Vergabe und Finanzierung der angekündigten Kassenstellen seien noch unklar. Die Förderung einzelner Verträge führe zu einer „Schieflage“.

Mit scharfer Kritik reagiert die Österreichische Ärztekammer auf die Pläne von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), zu den bereits angekündigten 100 neuen Kassenstellen 700 weitere zur Verfügung zu stellen und einen Teil von ihnen auch zu subventionieren. Eine Reihe von Fragen sei noch ungeklärt.

Neue Verträge in Aussicht zu stellen, ohne die Details zur Umsetzung zu definieren, genüge nicht, um die angespannte Situation im niedergelassenen Bereich zu verbessern. „Eine nachhaltige Lösung des Versorgungsproblems benötigt ein Bündel an strukturellen Maßnahmen“, sagt Edgar Wutscher bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Er ist Vizepräsident der Kammer und Obmann der Kurie der niedergelassenen Ärzte.

Bis zu 100.000 Euro

Konkret bezieht sich sein Unmut auf die offenen Punkte rund um die angekündigten 100 „Nehammer-Stellen“, wie Wutscher die neuen Kassenpraxen, die mit bis zu 100.000 Euro Startbonus gefördert werden sollen, bezeichnet.

Diese lauteten: Was geschieht mit den anderen rund 400 offenen Stellen in Österreich, werden diese auch mit bis zu 100.000 Euro gefördert? Nach welchen Kriterien wird dieser Startbonus vergeben, wie erfolgt also die Entscheidung, ob jemand die vollen 100.000 Euro erhält oder weniger? Wie geht es mit diesen subventionierten Kassenstellen weiter, werden sie nach der Eröffnung in die Regelfinanzierung der Krankenkassen übernommen, um sie langfristig zu finanzieren – oder werden sie über mehrere Jahre hinweg subventioniert? Wie erfolgt die Vergabe bei den 100 zusätzlichen Kassenstellen, gelten hier die gleichen Reihungskriterien wie die bislang gültigen bei der Ärztekammer? Kann sich ein Arzt auf zwei Listen bewerben? Gibt es also neben der regulären Bewerberliste für eine offene Kassenstelle eine parallel geführte Bewerberliste für die geförderten 100 Kassenstellen? Tatsächlich sind alle diese Fragen weitgehend unbeantwortet.

Hinzu kommt, dass Kanzler Karl Nehammer erst Dienstag gesagt hat, dass wegen der großen Nachfrage nach den 100 neuen Stellen bald 100 weitere zur Verfügung gestellt werden sollen. Ob für diese auch ein Startbonus vorgesehen ist bzw. in welchem Umfang, war unklar. Darauf ging er nicht ein.

Interessenten, keine Bewerber

Jedenfalls ist bisher – abgesehen von der Aufteilung der neuen Kassenstellen auf die Bundesländer – noch nicht einmal geklärt, wo genau, also in welcher Region die Ordinationen entstehen sollen. Dass dennoch von Hunderten Bewerbern die Rede sei, ist für Wutscher absurd. Bei diesen Personen könne es sich allenfalls um Interessenten handeln. Denn sie wüssten nicht einmal, um welche Stelle sie sich bemühen, und wie viel Geld sie wirklich als Startbonus bekommen. Schließlich heiße es „bis zu 100.000 Euro“, und nicht exakt 100.000 Euro.

Darüber hinaus bestehe die Gefahr der Bildung einer Parallelstruktur – dann nämlich, wenn sich junge Mediziner nicht auf eine der rund 400 offenen Stellen bewerben, sondern auf eine der subventionierten warten. Was naturgemäß eine „Schieflage“ und „Ungleichbehandlung“ bedeute. Denn wie wolle man erklären, dass ein Arzt des gleichen Fachs 100.000 Euro für die Eröffnung einer Kassenpraxis bekomme, ein anderer aber nichts?

Vor diesem Hintergrund müssten die Aussagen des Kanzlers als „Lippenbekenntnisse“ und als „Schönwetterreden“ betrachtet werden, sagt Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Kurie der niedergelassenen Ärzte. Er und Wutscher fordern („nicht wünschen“) einmal mehr – neben klaren Umsetzungsrichtlinien für die neuen Stellen – einen neuen, österreichweit einheitlichen Leistungskatalog ohne Limitierungen bei den Leistungen. Nur so könnten Kassenverträge attraktiver gemacht werden und für junge Ärzte wieder erstrebenswert sein. Absolventen zu verpflichten, eine Zeit lang im öffentlichen Gesundheitssystem zu arbeiten (Nehammer wiederholte diese Absicht am Mittwoch im „Presse“-Interview), sei jedenfalls der falsche Weg und werde nicht funktionieren. Diese hätten nämlich Alternativen und seien in dieser Hinsicht nicht erpressbar.

Nicht zuletzt gehöre die Altersgrenze von 70 Jahren für den Betrieb von Kassenordinationen abgeschafft, damit jene Ärztinnen und Ärzte, die noch nicht in Pension gehen wollen, im Kassensystem weiterarbeiten dürfen, anstatt Wahlärzte zu werden.

FFP2-Maske in Ordinationen

Ebenfalls am Mittwoch erinnerte Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin der Wiener Ärztekammer und Hausärztin in Wien, an die Empfehlung der Kammer, in Ordinationen eine FFP2-Maske zu tragen. „Aktuell häufen sich die Influenza- und RSV-Infektionen. Daher empfehlen wir Risikogruppen und Patienten mit Symptomen wie etwa Fieber, Schnupfen, Husten, Gliederschmerzen, Durchfall und allgemeinem Krankheitsgefühl beim Besuch einer Ordination eine FFP2-Maske zu tragen“, sagt sie. „Von der Politik braucht es kostenlose Masken für die Ordinationen und Influenza- sowie RSV-Tests als Kassenleistung, für die Patienten derzeit selbst aufkommen müssen.“

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