Gastkommentar

Eine vertane Chance

Dollfuß-Museum. Wie Geschichtsaufarbeitung besser nicht funktioniert, führte unlängst ein Gedenkverein in Texingtal vor.

Unmittelbar nach seiner Bestellung sah sich Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) mit dem Vorwurf konfrontiert, als Bürgermeister von Texingtal das Engelbert-Dollfuß-Museum betrieben zu haben. Daran schloss sich – mehr oder weniger unterschwellig – die Unterstellung, Karner grenze sich vom „Austrofaschismus“ zu wenig ab.

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Abgesehen davon, dass der von Nationalsozialisten erschossene Bundeskanzler Dollfuß aus Texing stammte; abgesehen auch davon, dass das Museum unter dem Vorgängerbürgermeister ein­gerichtet worden war; abgesehen weiters davon, dass ein SPÖ-naher Historiker es vor fast 30 Jahren kuratiert hatte: Auch der Begriff „Austrofaschismus“ für Dollfuß’ Regierungssystem ist einer, den nur einzelne Historiker aus dem linken Spektrum verwenden. Überdies war das Museum seinerzeit als ein Erinnerungsmal an den Überlebenskampf Österreichs gegen den Nationalsozialismus, dem Dollfuß zum Opfer gefallen war, eingerichtet worden.

Tagespolitisches Kleingeld

Es war also evident, dass es in erster Linie um tagespolitisches Kleingeld ging. Karner nahm die Attacken dennoch ernst und reagierte. Im Sinne einer zeitgemäßen Erinnerungskultur beauftragte die Gemeinde Texingtal einen Gedenkverein mit der Neukonzeption des Museums. Dieser hatte sich um die Aufarbeitung des KZ Melk, eines Außenlagers von Mauthausen, verdient gemacht.

Allerdings erwies sich bald, dass der Verein mit dem Thema überfordert war. Die Erste Republik ist eine komplexe Materie. Gut und Böse, Opfer und Täter, sind nicht so klar zu unterscheiden, wie dies etwa bei NS-Verbrechen der Fall ist. So bekämpfte Kanzler Dollfuß den Nationalsozialismus mit allen Mitteln, allerdings schaltete er auch das Parlament aus, regierte autoritär und schlug einen Aufstand von Teilen der Sozialdemokratie nieder. Einer Sozialdemokratie, die ihrerseits mit der „Diktatur des Proletariats“ gedroht hatte („Demokratie, das ist nicht viel – Sozialismus ist das Ziel“).

Ausgewogen ist das nicht

Merkwürdig genug, wählte der Verein eine polit-aktivistische Herangehensweise. Der Obmann, von Beruf her Theatermacher und als solcher bemüht, kündigte einen ergebnisoffenen Prozess an – und sprach im selben Atemzug von „Austrofaschismus“.

Wusste er nicht, dass genau das des Pudels Kern ist? Er strapazierte jenen politischen Kampfbegriff, den die besiegte Sozialdemokratie ab 1934 eingeführt hatte. Einen Begriff, den seither vor allem SPÖ-Politiker, SPÖ-nahe Historiker und neuerdings ORF-Redakteurinnen und -Redakteure weiterhin pflegen. Ideologisch nicht gebundene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen daher differenzierter von autoritärem Regime, Regierungs- oder Kanzlerdiktatur. Tatsächlich gibt es gewichtige Argumente, die gegen die Faschismusthese sprechen.

In derselben Tonart ging es weiter. Mit den Leihgebern wurde nicht kommuniziert, die Beiträge einzelner Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats ignoriert. All dies ließ Merkwürdiges erwarten. Und tatsächlich sah das Konzept des Vereins nicht etwa eine ausgewogene Darstellung vor, sondern die „konstruktive Auflösung“ des Museums. Bis 2028 wäre es leer gewesen, im Übrigen zu Kosten von zumindest 370.000 Euro.

Dazu kam es nicht mehr. Mitte Jänner zogen die Leihgeber ihre Exponate zurück, weil ein konservatorisch angemessener Umgang mit den Stücken nicht zu erwarten war. Die destruktive Vorgehensweise des Vereins hat die wissenschaftlich saubere Auseinandersetzung mit dem Jahr 1934 leider unmöglich gemacht.

Mag. Christoph H. Benedikter arbeitet als Wissenschaftler an Forschungsinstituten sowie als freier Ausstellungskurator.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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