Déjà vu

Profit für einige und ein gutes Leben für viele

Papst Franziskus hat das kirchliche Denken über Fragen der Ökonomie in eine linksromantische Richtung gelenkt.

Jedes Jahr im Jänner veranstaltet die Katholische Kirche im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg die Österreichische Pastoralkonferenz. Die Tagung gibt es seit Jahrzehnten und sie ist so etwas wie eine Heerschau des österreichischen Katholizismus. Heuer zählte man 280 Teilnehmer, darunter mehrere Bischöfe. „Gutes Leben. Verantwortungsvolles Wirtschaften“, lautete der Titel, aus dem schon ein gewisses Misstrauen durchklang gegenüber dem „vorherrschenden Wirtschaftssystem“, wie es genannt wurde. So, als ob es ein anderes geben müsse und die Kirche es zu offerieren hätte.

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Der Kärntner Bischof Josef Marketz, der die Konferenz eröffnete, weil er in der Bischofskonferenz für Pastoral, also Seelsorge zuständig ist (Wirtschaft und Umwelt ressortieren zu seinem Kollegen Alois Schwarz aus St. Pölten) versuchte, diesen Eindruck zu zerstreuen. Er konstatierte aber nüchtern eine „Sprachlosigkeit“ zwischen Kirche und Unternehmenswelt. Es scheine so als ob die Wirtschaft keine sinnvollen Beiträge von der Kirche erwarte.

In der Zielvorstellung „gutes Leben“ jedoch könnten sich beide womöglich treffen. Die Seelsorger ermahnte der Bischof, nicht alle wirtschaftlichen Aktivitäten kritisch zu betrachten. Offenbar hat er Grund dazu.

Marketz erinnerte daran, dass die Katholische Kirche selbst ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist. Die 158.000 Beschäftigten in der Kirche und ihrem Umfeld schaffen eine Wertschöpfung 6,56 Milliarden wie eine Studie von IHS und Joanneum Research errechnet hat. Das ehrenamtliche Engagement von Katholiken entspricht einem Äquivalent von 14.000 Vollzeitstellen. Die Steuerleistung allein für ihre Bautätigkeit ist höher als es die staatlichen Zuschüsse an die Kirche sind. Die Kirche als Arbeitgeberin und Unternehmerin war denn auch ein Gegenstand der Tagung.

Außerordentlich erfolgreich wirtschaftlich tätig sind die männlichen Ordenshäuser vor allem der Benediktiner, Zisterzienser, Chorherren. Sie führen Land- und Forstwirtschaften, treiben Weinbau, führen Skigebiete und verwerten ihre umfangreichen Immobilienbestände. Ihr gemeinsames Bankinstitut Schelhammer und Schattera haben sie an die Grazer Grawe-Gruppe verkauft, die den traditionsreichen Namen weiterleben lässt.

Diese Tätigkeit und ihr offenkundiger pekuniärer Erfolg, genannt Profit, haben sich als der christlichen Botschaft keineswegs abträglich erwiesen.

„Der Marxismus hat es geschafft, die ganz normalen Funktionen der Wirtschaft zu dämonisieren: Markt, freie Wirtschaft, Unternehmertum, Gewinn und Erfolg – all das wurde mit ideologischem Verdacht belegt, mit dem Schlagwort ,Kapitalismus‘ negativ besetzt. Das war propagandistisch ein hervorragender Erfolg. In Wirklichkeit handelt es sich hier um die ganz normalen Grundvollzüge des wirtschaftlichen Lebens einer menschlichen Gesellschaft.“

Krude Wirtschaftstheorie

Und weiter: „Auch von Seiten der Kirche besteht eine gewisse Gefahr, diese Grundvollzüge mit dem Verdacht des Unsozialen oder Unmoralischen zu bedenken. Ohne Freiheit des Marktes, ohne eine gewisse Gewinnorientierung und ein Erfolgsinteresse kann keine Wirtschaft im Kleinen und Großen gedeihen. Nicht der Markt ist böse, nicht die freie Wirtschaft mit ihrem Spiel von Angebot und Nachfrage ist böse. Böse kann nur deren Missbrauch sein.“

Diese Sätze stammen nicht etwa von Margaret Thatcher, sondern von Erzbischof Christoph Schönborn. Er sagte sie allerdings schon längere Zeit bevor der jetzige Papst im Amt war und mit seiner kruden Wirtschaftstheorie („diese Wirtschaft tötet“) das kirchliche Denken über Fragen der Ökonomie in eine linksromantische Richtung verschoben hat.

Zwar behaupten Verteidiger des Papstes, er habe ohnehin Verständnis für die Marktwirtschaft. Ein Satz wie „die Ungleichverteilung der Einkünfte ist die Wurzel des Übels“ lässt sich aber nur schwer mit marktwirtschaftlichen Vorstellungen in Einklang bringen. Eine ökonomisch egalitäre Gesellschaft ist notwendigerweise eine Gesellschaft allgemeiner gleich verteilter Armut.

Der Papst hält „die Stunde für gekommen, in einem Teil der Welt eine gewisse Rezession zu akzeptieren, damit anderswo ein gesunder Aufschwung stattfinden kann“. Er hängt der irrigen Vorstellung an, die Mehrheit der Menschheit sei deshalb arm, weil eine Minderheit reich ist. Schon der namhafte österreichische Ökonom Joseph Schumpeter nannte das „einen der am weitesten verbreiteten Irrtümer“.

Der Wert des Geldes

Realistischer als Franziskus ist Leonardo Boff, einer der Vertreter der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, wenn er darauf hinweist, dass der Papst den Kapitalismus nur in seiner „unzivilisiert-skandalösen Variante Lateinamerikas“ kenne. Die soziale Marktwirtschaft europäischer Prägung sei ihm unbekannt.

Zum Geld hat der Papst ein ambivalentes Verhältnis. In einer Morgenpredigt führte er einmal eine Polemik gegen das „Geld als Egoist“. Anderseits sagte er einmal, das Geld trage „sehr viel Gutes zur Entwicklung der Menschheit bei“.

Das wussten auch schon die frommen ersten Kapitalisten im Mittelalter, die die ihre Bücher mit „Für Gott und den Profit“ überschrieben. Wie der Vatikan oder die großen kirchlichen Hilfswerke ohne das viele Geld funktionieren sollen, das die deutschen Katholiken sammeln und brav abliefern, wird uns nicht gesagt. Aber den Wert des Geldes lernt die Kirche ohnehin wieder kennen, wenn sie zunehmend weniger davon hat.

Die Wirtschaft habe sich dem „effizienzorientierten Paradigma“ unterworfen, klagt der Papst. Was aber soll die Wirtschaft sonst, als effizient sein? Wie eine ineffiziente Wirtschaft funktioniert, konnte man in kommunistischen und kann man noch heute in vielen Ländern besichtigen.

Verunglimpftes Wachstum

Besonderer Beliebtheit in kirchlichen Kreisen erfreut sich die Kritik an der „Wachstumsideologie“. Dieser Gedanke schlägt allerdings ins Absurde um, wenn Arbeitslosigkeit als Folge von Wirtschaftswachstum ausgegeben wird. Wie die vier bis fünf Milliarden Menschen auf der Welt, die in mehr oder minder großer Armut leben, ohne Wirtschaftswachstum aus diesem Dasein befreit werden können, wird uns nicht erklärt. Die Ideologen einer „Kultur des Weniger“, die auch bei der Pastoralkonferenz zu Wort kamen, sagen wohlweislich nicht, wer bestimmt, worauf die anderen verzichten sollen.

Einer der Vertrauten des Papstes, Kurienkardinal Michael Czerny verlangte kürzlich in Deutschland, „unseren Fokus von Profit auf Wohlstand, von Wirtschaftswachstum auf Nachhaltigkeit zu verlagern“. Das ist schön gesagt und wird allgemein Wohlgefallen finden. Dazu behauptet er aber, dass die modernen Volkswirtschaften seit 200 Jahren ein „extraktives“ (das modische Vokabel für Wirtschaftswachstum) praktiziert und dabei die Menschen „ausgeplündert“ hätten.

In Wirklichkeit waren es gerade Kapitalismus und Marktwirtschaft, die durch die ihnen innewohnende Dynamik Massenwohlstand geschaffen haben. Womit wir wieder dem Erzbischof von Wien (siehe oben) das Wort geben können.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“

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