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Orbán im Gespräch mit Schüssel: „Die dominante Rolle des Westens ist vorbei“

Österreichs Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel traf mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in dessen Budapester Regierungssitz zusammen. Das Gespräch fand in der Bibliothek des ehemaligen Karmeliterklosters statt.
Österreichs Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel traf mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in dessen Budapester Regierungssitz zusammen. Das Gespräch fand in der Bibliothek des ehemaligen Karmeliterklosters statt.Zoltán Fischer
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In einer kontroversen Debatte mit dem ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel spricht sich der ungarische Ministerpräsident, Viktor Orbán, gegen Beitritte der Ukraine zu EU oder Nato aus und skizziert seine Vorstellungen von der EU. Ein Auszug des Gesprächs aus dem neuen Debattenmagazin »European Voices«.

Am 15. Februar erscheint das neue englischsprachige Debattenmagazin „European Voices“, das „Die Presse“ gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und die Vereinten Nationen herausgibt. Zweck der vierteljährlichen Publikation für Politik, Wirtschaft und Kultur ist es, gewichtigen Stimmen aus Ost-, Zentral- und Südosteuropa Gehör zu verschaffen. Für die erste Ausgabe reiste der frühere österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel nach Budapest, um ein ausführliches Gespräch mit dem ungarischen Ministerpräsidenten, Viktor Orbán, zu führen. Der Premier erläutert darin seine umstrittene Haltung im Ukraine-Krieg, sein Verhältnis zu Russland und seine Pläne für Ungarns EU-Ratsvorsitz in der zweiten Jahreshälfte.

Folgend können Sie Auszüge aus dem Gespräch lesen. In voller Länge finden Sie es in den „European Voices“.

Wolfgang Schüssel: In unserer Nachbarschaft lodert nach der russischen Invasion mit dem Krieg in der Ukraine eine schreckliche Gefahr. Sie hatten viele Kontakte mit Präsident Wladimir Putin. Hatten Sie mit dieser Aggression gerechnet?

Viktor Orbán: Lange Zeit habe ich nicht damit gerechnet. Aber zwei Wochen vor dem Kriegsausbruch war ich in Moskau, und da hatte ich das Gefühl, dass eine Invasion möglich ist. Nach meinem Besuch habe ich dem Nato-Generalsekretär von meinen Eindrücken berichtet und ihm gesagt, dass wir in Schwierigkeiten stecken, weil die Russen denken, dass sie den Konflikt mit der Ukraine früher oder später mit Gewalt lösen müssen, wenn die Ukraine der Nato beitreten will.

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Am 15. Februar erscheint das neue englischsprachige Magazin „European Voices“ mit Beiträgen von Ivan Krastev, Viktor Orbán, Kaja Kallas, Nathalie Tocci, Werner Hoyer, Ilija Trojanow und vielen anderen. Der Schwerpunkt der vierteljährlichen Zeitschrift liegt auf Zentral-, Ost- und Südosteuropa. Jetzt bestellen: europeanvoices.eu/shop

Das Cover von „European Voices“.
Das Cover von „European Voices“.

Wolfgang Schüssel: Hätte dieser Krieg vermieden werden können, wenn das Nato-Bündnis die Ukraine schon früher aufgenommen hätte?

Viktor Orbán: Bereits 2008 habe ich gesagt, die einzige Möglichkeit, den Ausbruch des Kriegs zu vermeiden, besteht darin, sofort über eine künftige Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhandeln. Es war unser Fehler, dass andere Länder außerhalb des Bündnisses den Eindruck gewannen, dass dies kein Verhandlungsgegenstand ist. Wahrscheinlich hätte es keine Einigung mit der Ukraine gegeben, aber wir hätten zumindest etwas Zeit gewonnen, um darüber nachzudenken, wie wir uns aus der äußerst konfrontativen Haltung Russlands lösen können. Das alles mindert nicht die Verantwortung der Russischen Föderation für diesen Krieg. Aber: Wir haben nicht alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft, um die Konfrontation zu vermeiden.

»Wir müssen Stärke zeigen und den Russen klar kommunizieren: Wir haben Interessen, und sie haben Interessen – auf einer solchen Grundlage können wir Abkommen schließen.«

Viktor Orbán

Ungarischer Premier

Wolfgang Schüssel: Ich hatte nicht den Eindruck, als hätte es keinen Raum für Diplomatie gegeben. Alle wollten mit Wladimir Putin reden, um eine militärische Konfrontation zu vermeiden. Der deutsche Bundeskanzler, Olaf Scholz, hat Putin aufgesucht, ebenso der französische Präsident, Emmanuel Macron. US-Präsident Joe Biden schickte gleich zweimal seinen CIA-Direktor William Burns nach Moskau, die Vertreter der europäischen Institutionen flogen nach Moskau. Alle haben versucht, Putin zu bewegen, seinen Kurs zu ändern.

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