Die sprudelnden Dialoge des Mutter-Tochter-Gespanns aus „Gilmore Girls“ haben ganze Generationen unterhalten. Und tun es bis heute.
Serienklassiker

Was schauen wir heute? Die alten TV-Hits, immer wieder

Von »Gilmore Girls« bis »Friends«: Gegen alte Lieblingsserien, besonders aus den Nullerjahren, kommt kaum eine neue Serie an. Warum wir so gern das Bewährte sehen.

Pizza, Popcorn, „Gilmore Girls“. So in etwa gestaltete sich ein Fernsehabend Mitte der Nullerjahre, vorausgesetzt, eine der Anwesenden hatte besagte TV-Serie auf DVD. Gut zwanzig Jahre später sieht ein solches Abendprogramm wieder mehr oder minder gleich aus – erstaunlich oft jedenfalls. Statt DVD wird nun ein Streamingdienst angezapft. Geschaut wird aber dasselbe: Neben der Serie „Gilmore Girls“, die von 2000 bis 2007 lief, etwa „Friends“ (1994 bis 2004), „Malcolm mittendrin“ (2000 bis 2006) oder „Gossip Girl“ (2007 bis 2012).

Das mag seltsam anmuten, ruft man sich die Entwicklungen der letzten Jahre in Erinnerung: Da schwingt sich die Unterhaltungsindustrie auf, das Fernsehen zu revolutionieren und ruft ein neues Serienzeitalter aus, da buhlen immer mehr Streamingdienste mit exklusiven Inhalten um Abonnenten, da werden Serien mit komplexen Handlungen, anspruchsvoller Ästhetik und keiner Scheu vor „schwierigen“ Inhalten gedreht. Von expliziten Darstellungen von Sex oder Gewalt bis zu diffizilen psychologischen Erkundungen – und dann geben sich die Leute zwanzig Jahre alten Stoffen hin? Also genau jenen oft als „Feel-Good-Ware“ verschrienen Überbleibseln aus der alten Welt des Fernsehens, die Netflix und Co. doch abgelöst haben wollten?

Hüftjeans und heile Welt

Und doch: Das gute alte TV-Programm feiert fröhliche Urständ. Das zeigen auch die Zahlen, die die US-Marktforschungsfirma Nielsen jährlich zum Streamingverhalten herausgibt. Unter den meistgestreamten Serien in den USA waren 2023 vor allem ältere. Auf Platz sieben: „Gilmore Girls“ mit 25,2 Milliarden Sehminuten, dicht gefolgt von „Friends“ mit 25 Milliarden Minuten – über zehn Milliarden mehr als im Jahr davor.

Selbst Jüngere, die nicht mit den sprudelnden Dialogen des Mutter-Tochter-Gespanns aus „Gilmore Girls“ oder mit den Großstadteskapaden der „Friends“-Truppe aufgewachsen sind, entdecken zunehmend ihren Reiz. Und damit auch die Welten, die die Retro­serien mitliefern. Modisch haben die Neunziger- und Nullerjahre längst eine Renaissance erlebt. Etwa drei Jahre ist es her, dass junge Menschen eine fast vergessene (von manchen gar verdrängte) Ästhetik wieder aufzugreifen wagten. Von Älteren war insbesondere die Hüftjeans – heute sagt man „low ­rise“ dazu – gefürchtet, mit ihr wurde auch der hervorblitzende String wiederbelebt. Die lustigen, taillierten Print-Shirts, wie sie Lorelei Gilmore oft trug, heißen heute „babytees“. Und auch an dünnen Schals, fingerlosen Handschuhen und federbesetzten Ärmeln wird sich aufs Neue gerne bedient.

Inspiration für solche Looks findet sich zuhauf im Videoschnipselportal TikTok, unter Hashtags wie #GilmoreGirlsAesthetic oder dem Kürzel #Y2K, einem englischen Akronym für das Jahr 2000. Fiktive Charaktere wie Lorelei und Rory Gilmore, Rachel Green aus „Friends“ oder Blair Waldorf aus „Gossip Girl“ werden dort als Modeinspirateurinnen gehandelt. Jugendliche imitieren ihren Stil, während sie bekannte Zitate aus der jeweiligen Serie zitieren. Noch schneller machen Schnipsel der Serie selbst die Runde: Ikonische Szenen werden am eigenen Bildschirm abgefilmt und ins Netz gestellt. Darunter wird diskutiert, welche fiktiven Serienpaare das bessere „Match“ abgeben, welche Frisur der Protagonistin am besten stand und wieso sie noch heute als Identifikationsfigur taugt.

Wer das nicht glaubt, kann sich die neuen alten Lieblinge auch direkt auf TikTok reinziehen oder in den verwandten Kurzvideobereichen diverser anderer Social-Media-Plattformen. Dort tummeln sich Szenen, die – ins Hochformat getrimmt und mitunter durchnummeriert („Part 42“) – zusammen ganze Serienfolgen ergeben. Auch 90er-Jahre-Sitcoms wie „Full House“ oder jüngere TV-Hits wie „Grey’s Anatomy“ und die zwischenzeitlich fast vergessene Anwalt-Dramedy „Suits“ (mit Meghan Markle) wurden auf diese Art vielen wieder ins Bewusstsein gespült.

„Comfort Binge“

Warum aber schauen sich Menschen Serien, die sie schon kennen, immer und immer wieder an? Im Englischen gibt es einen Begriff für dieses Verhaltensmuster: „Comfort Binge“. „Bingewatching“ beschreibt das Schauen mehrerer Folgen am Stück (zu Deutsch gibt es den unschönen Ausdruck des „Komaglotzens“). Das Konzept hinter dem wiederholten Wohlfühlfernsehen: Vergnügen ohne Risiko und Knalleffekt. Und ohne viel Aufwand (weil die Auswahl im unübersichtlichen Serienangebot leicht fällt, wenn man einfach zu alten Lieblingen greift). Man lässt sich berieseln vom vertraut Schönen. Man flüchtet sich in die Vorhersehbarkeit einer bekannten Handlung, was umso tröstlicher sein kann, je mehr das eigene Leben oder die Außenwelt von Unsicherheiten geprägt ist.

»Ich war so enttäuscht wegen meiner Prüfungsergebnisse, ich hab mich zwei Tage lang eingesperrt und alle sieben Staffeln ,Gilmore Girls‘ angeschaut.«

Für Wiederholungsschauer spielt freilich auch Nostalgie eine Rolle. Alte Filme und Serien erlauben es uns, eine Zeit, an die wir uns meist gern erinnern, noch einmal zu erleben. Vor allem für die Generation der Millennials, heute ungefähr in ihren 30ern, kamen die genannten Teeniedramen in einer prägenden Zeit heraus. Die Forschung weiß: Nostalgische Gefühle wirken beruhigend. Auch im Netz betiteln einige die Serie als Trostpflaster: „Ich war so enttäuscht wegen meiner Prüfungsergebnisse, ich hab mich zwei Tage lang eingesperrt und alle sieben Staffeln ,Gilmore Girls‘ angeschaut.“ Zeit mit der sechsköpfigen Clique aus „Friends“ zu verbringen, scheint für viele „einem Abend mit alten Freunden“ gleichzukommen. Tatsächlich hat auch eine Studie im „Journal of Experimental Social Psychology“ aus dem Jahr 2009 ergeben, dass das wiederholte Schauen der eigenen Lieblingssendung das Gefühl von Einsamkeit verringern kann.

Jede einzelne Folge

Zumal man es heute viel gezielter, umfassender und selbstbestimmter tun kann als noch im TV-Zeitalter, als man oft nicht genau wusste, welche Folge da gerade läuft. Beim chronologischen Re-Watching kann sich schon einmal auftun, dass einem einst ganze Staffeln entgangen sind.

Warum aber schauen jüngere Jahrgänge, jene, die den „Girls“ und „Friends“ nicht schon ihre Jugend widmeten, dieser Tage dieselben Formate? Womöglich sehnen sie sich auch nach einer bildschirmfreien Zeit, ausgerechnet während des Blicks in den Bildschirm: Von „Tech Fatigue“ Geplagte brauchen neben den Charakteren hier nicht auch noch deren Smartphones und Social-Media-Feeds zu folgen. Der Alltag von Rory Gilmore und Malcolms chaotischer Familie ist entspannend untechnologisiert: Klobige Schnurlostelefone und Röhrenfernseher seien auch der Generation Z einmal vergönnt.

So wie es ihr auch vergönnt sei, am Bildschirm eine unaufgeregte, heile Welt zu erleben, wie sie eben einst über die TV-Geräte flimmerte: „Gilmore Girls“ zeigte – bei allen Familien- und Beziehungskomplikationen – letztlich eine liebevolle Kleinstadtgemeinde, die sich je nach Saison festlich herausputzte und in der man sich am Ende des Tages rührselig umarmte. Gewalt, harte Politik, Zynismus, Dramen, in denen es um Leben und Tod geht? Fehlanzeige. Wie auch in „Friends“, wo man stets sicher sein kann, dass den schrulligen Charakteren nichts Schlimmeres passieren wird, als in einem wunderlichen Freundschaftsquiz ihre Wohnung zu verspielen oder zum wiederholten Mal eine unüberlegte Ehe einzugehen.

In „Friends“ wird den schrulligen Charakteren nichts Schlimmeres passieren, als in einem wunderlichen Freundschaftsquiz ihre Wohnung zu verspielen.
In „Friends“ wird den schrulligen Charakteren nichts Schlimmeres passieren, als in einem wunderlichen Freundschaftsquiz ihre Wohnung zu verspielen. IMAGO / Everett Collection

Was von vielen Neuerscheinungen nicht gesagt werden kann – auch wenn Serien wie „Ted Lasso“ über einen betont freundlichen Fußballtrainer (vor allem in den USA ein Hit) zuletzt vereinzelt mehr Nettigkeit ins Streamingprogramm brachten. Ein Kontrast im sonst vorherrschenden Mix aus True-Crime-Aufarbeitungen, brutalem Grusel (von „Squid Game“ bis „Stranger Things“) und anderen nervlichen Beanspruchungen (selbst in der erbaulichen Familienrestaurant-Serie „The Bear“ wird der Küchenstress körperlich spürbar).

Viel Geld für alte Ware

Die Anziehungskraft alter Lieblingsserien – die auch wegen ihrer vielen verfügbaren Staffeln massenhaft Zuschauerstunden generieren – haben die Streamingdienste freilich längst erkannt. Für die Rechte daran wird am Streamingmarkt viel Geld geboten. Zugleich versuchten Produzenten immer wieder, an den Reiz des Bewährten anzuknüpfen: Mit „Friends: The Reunion“ erschien 2021 eine sentimentale Talkshow. „Gilmore Girls“ wurde 2016 mit einem Vierteiler fortgesetzt. Ein „Gossip Girl“-Reboot wurde im Vorjahr eingestellt, wie auch „How I Met Your Father“ – der Versuch, die Sitcom „How I Met Your Mother“, ihrerseits eine Neuauflage im Geiste von „Friends“, wiederzubeleben. Nur die „Sex And The City“-Fortsetzung „And Just Like That“ hält sich hartnäckig.

Geglückt waren all diese Versuche letztlich nur in dem Sinn, dass sie zur Wiederbelebung der Originale beitrugen. Und die Helden der Nullerjahre auch zu Helden von heute machten.

»Gilmore Girls«: Erfrischende Heldinnen, die auch heute noch taugen

Randy Tepper/Imago

Es ist eindeutig, die Serie „Gilmore Girls“ wird von Frauen beherrscht. Männer taugen zum guten Freund oder Liebesobjekt, doch dreht sich die Welt nicht um sie. Jedenfalls nicht ausschließlich. Neben den drei Generationen Gilmores (Tochter Rory, Mutter Lorelai und Großmutter Emily) folgt die Serie Köchin Sookie und Schulfreundin Lane, deren Mutter Mrs. Kim und Paris, eifrige Schülerin und, wie ich finde, unterbewertete Figur, die der Serie reichlich bissige Pointen liefert. Es lohnt sich aber wohl, die Serie mit Abstand zur eigenen Jugend zu schauen. Das Entlarven von Warnzeichen im Dating, von denen die Serie zu Genüge liefert, fällt mit knapp 30 Jahren durchaus leichter. (evdin)

Die »Friends« tun nur so, als wären sie im NY der 1990er

NBC/Courtesy Everett Collection via Imago

Auf Realismus gab „Friends“ herzlich wenig – vielleicht ist das der Grund, warum die im New York der Neunziger und Nullerjahre spielende, ihrer Lebenswelt aber stets ein bisserl entrückte Sitcom noch heute so leicht in ihren Bann zieht. „Your job’s a joke, you’re broke“, heißt es in der Titelmelodie, während Rachel, Ross, Phoebe, Joey, Chandler und Monica in geräumigen New Yorker Topimmobilien wohnen und mit Hudriwudri-Leichtigkeit durchs Leben tapsen. Freunde ersetzen hier Familie, die Lieblingscouch im Kaffeehaus ist immer frei: Diese Unbeschwertheit verführt. Tipp: Um ihren unübertroffenen (Situations-)Witz zu erkennen, muss man die Serie auf Englisch sehen. (kanu)

»Malcolm mittendrin«: Geschwisterkämpfe und Humor auf vielen Ebenen

20thCentFox/Courtesy Everett Collection via Imago

„Geschwister sind wie Übungsmenschen für richtige Menschen“, sagte die schweizerisch-deutsche Kabarettistin Hazel Brugger über die schlagkräftige Liebe zu ihren Brüdern. Eine ewige Wahrheit, der sich auch die Serie „Malcolm mittendrin“ zwischen 2000 und 2006 widmete. Wunderbar witzig ist es, dieses Leben einer Familie ohne Nachnamen, in der ja letztendlich auch nur Individuen zusammentreffen. Die eine Beharrlichkeit in ihrer Unvernunft zeigen, die man kopfschüttelnd bewundern muss. Der hochbegabte Malcolm und der destruktive Reese üben pausenlos aneinander – und am kleineren, süßen Dewey. Eine großartig besetzte Serie, die gut gealtert ist. (rovi)

»Gossip Girl«: Tratsch im Netz, damals noch in Kinderschuhen

CW Network/Courtesy Everett Collection via Imago

Rückblickend ist „Gossip Girl“ wohl die Urmutter von Hass im Netz. Autorin Cecily von Ziegesar hatte da einen recht frühen Riecher: Sie hat 2002 die Buchreihe verfasst, auf der die gleichnamige Serie basiert. Über die Kids der superreichen New Yorker gibt es freilich viel zu berichten, der Bogen wird dabei für das heutige Empfinden aber immer wieder überspannt. Das Teenie-Drama ist damit nur mäßig gut gealtert, verspricht jenen, die früher schon Fans waren, trotzdem neuerliche Unterhaltung. Auch, weil man den Großteil der Verwicklungen wahrscheinlich längst vergessen hat. Ein Gemisch aus „Feel-good“ und Intrigen, für ein bisserl mehr Herzklopfen beim „Comfort Watching“. (evdin)

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