Morgenglosse

Onanieren bei der Bundeshymne, heute?

Archivbild von Günter Brus aus dem Jahr 2018.
Archivbild von Günter Brus aus dem Jahr 2018.Imago / Imago Stock&people
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Es war 1968 als Günter Brus verurteilt wurde, weil er zur Bundeshymne onanierte. Ist das Kunst? Gibt es heute Vergleichbares?

Wer ist gestorben? Günter Brus? Wer ist das? Für die Kunstwelt war es ein Abschied von vielem, von einer Ära, als Sonntagfrüh die Todesmeldung kam: Günter Brus, Wiener Aktionist, mit 85 Jahren gestorben. Der letzte Wiener Aktionist war tot. Dass er Ende der Sechzigerjahre als „meistgehasster Österreicher“ tituliert wurde, weiß niemand mehr. Und dennoch ging er als dieser Provokateur in die österreichische Zeitgeschichte ein. Als Oberferkel der „Uniferkelei“, so wurde diese seltsame Veranstaltung genannt, die eigentlich eine Kunstaktion war, die „Kunst und Revolution“ hieß. Organisiert von der sozialistischen Studentenschaft, das war das Novum, denn bislang fand der Wiener Aktionismus im „geschützten“ Raum statt, in Kunsträumen, in privaten Räumen, vor Fotoapparaten. Aber in einem politischen Umfeld? Wurde er zum Skandal damals. Und die Teilnehmer wie Brus mit Haftstrafen belegt. In seinem Fall fünf Monate verschärfter Kerker mit Fastttagen und „hartem Lager“. Brus hatte, es war seine 30. Aktion, seinen Körper öffentlich „analysiert“, das heißt er hat im Hörsaal des NIG uriniert und Schlimmeres, und am Ende beim Absingen der Bundeshymne onaniert. Heute wäre man noch froh, könnte ein Künstler den Text der Hymne überhaupt singen. Vom Onanieren gar nicht erst zu reden, die Kunst ist prüde wie nie.

Es war eine andere Zeit. Man revoltierte gegen Nazis, die Uniprofessuren innehatten, was jeder wusste. Man revoltierte gegen ein sich falsch anfühlendes Selbstbewusstsein eines geschrumpften Staates, der sich jetzt noch dazu als Opfer stilisierte. „Man“ war eine Jugend, die in der Kriegszeit, die in der Nazizeit pubertieren musste. Ihr Hass auf die eigenen Eltern, auf die eigene Gesellschaft ist nur noch schwer vorstellbar.

Was würde heute passieren, wenn jemand zur Bundeshymne onaniert? In universitärem Umfeld? Die Kunst ist frei, als Künstler bekäme man höchstens eine Seite in einer Gratiszeitung. Ein Gähnen in den Feuilletons – – alles schon einmal gesehen, vor 60 Jahren, im Wiener Aktionismus. Als „Normalsterblicher“ sollte man sich das allerdings mehrmals überlegen, gelte es doch als „Herabwürdigung der österreichischen Fahne oder Hymne“ und wäre mit einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr versehen. Im Zuge der Fahnen-Schändungen im Israel-Gaza-Krieg überlegte man zuletzt, diese Strafen, die nationale Symbole betreffen, weiter zu verschärfen.

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