Kino

„Madame Web“: Ein Superheldenfilm für Superheldenmüde

Lotst ihre drei Teenager-Schützlinge (u. a. Sidney Sweeney, 2. v. r.) durchs New York von 2003: Dakota Johnson als Madame Web.
Lotst ihre drei Teenager-Schützlinge (u. a. Sidney Sweeney, 2. v. r.) durchs New York von 2003: Dakota Johnson als Madame Web.Sony Pictures
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Für das Abenteuer der Spider-Man-Verwandten „Madame Web“ braucht man kein Comic-Vorwissen. Dakota Johnson charmiert als toughe Rettungsfahrerin, die in die Zukunft blicken kann.

Ein Mann in einem hautengen Kostüm in dunkelgrauer Netzoptik kriecht kopfüber über die Decke der U-Bahn-Station. Blitzschnell klettert er über die glatten Wände, hechtet über Bahnsteige, wirft Menschen über den Haufen, die gar nicht wahrhaben können, was hier gerade passiert. Auch die Rettungssanitäterin Cassie (Dakota Johnson) und die drei Teenagermädchen, die sich gerade noch auf die Straße retten können, sind ratlos: Wie kann ein Mensch nur so klettern – fast wie eine Spinne?

Was – noch nie von Spider-Man gehört?

Nein, das haben die Figuren des neuen Kinofilms „Madame Web“ nicht; obwohl es sich dabei um die jüngste Auskopplung aus der Comicbuchreihe um den berühmten Spinnenmann handelt. Seit Jahrzehnten erzählt die US-Unterhaltungsbranche die Geschichte vom Menschen, der durch Kontakt mit einer Spinne plötzlich unheimliche Fähigkeiten entwickelt. Und ließ zuletzt sogar unterschiedliche Varianten der Figur aufeinandertreffen.

Ganz so, wie die Comic-Welten im Allgemeinen zunehmend ineinandergeflossen sind: Das 2008 begonnene „Marvel Cinematic Universe“ wuchs sich über die Jahre zu einer wirren, wild bevölkerten und verschachtelten Umgebung aus. Mit Filmen, die verflochten sind: Da schauten die einen Helden bei den anderen vorbei, da wimmelte es vor Anspielungen und Querverweisen, die „echte“ Fans stolz verstanden. Im Kino begann’s, in zahlreichen Serien ging es weiter. Wer über alle Querbeziehungen im Bilde sein wollte, ließ am besten keine Produktion aus – und wartete selbstverständlich nach jedem Abspann auf die „Post Credit Scenes“, um auch ja keinen Konnex zu verpassen.

Da konnten alle Helden zusammen spielen

In Hollywood frohlockte man über das multimediale, Fans fest an sich bindende System. Sony, das Studio, das die Filmrechte an den Spider-Man-Comics hält, hatte sogar einen Deal mit Disney, der Firma, die 2009 den Marvel-Comicverlag kaufte: Der von Tom Holland verkörperte Spider-Man der Sony-Filmreihe konnte so auch in den Superheldenfilmen von Disney an der Seite von Captain America, Hulk und Co kämpfen. Das entpuppte sich als erfolgreiche Strategie – eine Weile lang. Der Höhepunkt war wohl „Spider-Man: No Way Home“, in dem sich alle bisherigen Spinnenmann-Inkarnationen seit 2002 trafen und dabei ein „Multiversum“ auffächerten, das all ihre widersprüchlichen Welten miteinander verband. Toll, nicht? Jetzt konnten alle zusammen spielen!

Nun: Schon im Vorjahr orteten Branchenkenner eine sogenannte „superhero fatigue“, eine Superhelden-Müdigkeit, die sich auch in schwächelnden Kinokassenergebnissen zeigte. Das Publikum hatte offenbar genug vom großen Superhelden-Spielplatz, auf dem sich keiner mehr auskannte. „Das Kinopublikum will nicht Serien als Hausübung schauen müssen“, schrieb „Presse“-Filmkritiker Andrey Arnold.

„Madame Web“ – produziert von Sony und inszeniert von der Britin S. J. Clarkson, die bislang Regisseurin für Serien war („Collateral“, „Anatomie eines Skandals“) – hat nun das, was man im Comickultur-Sprech ein „standalone universe“ nennt: Hausübungen sind keine nötig, vom bestehen Superheldenuniversum ist diese Welt komplett unabhängig, und von Spinnenmenschen hat in diesem New York des Jahres 2003, in dem die Geschichte stattfindet, auch noch nie jemand gehört.

Rettungsfahrerin sieht die Zukunft

Die Rettungsfahrerin Cassandra Webb (Johnson) ist entsprechend verwundert, als sie nach einer Nahtoderfahrung plötzlich Szenen aus der Zukunft sehen kann. Und dabei die Attacke vorausahnt, die der eingangs erwähnte mysteriöse Spinnenmensch auf drei Teenagermädchen plant. So erhebt sie sich zur Beschützerin der liebenswürdig impulsiven, von ihren Eltern allein gelassenen Jugendlichen, gespielt von Sydney Sweeney (bekannt aus „Euphoria“ und „Wo die Lüge hinfällt“), Celeste O’Connor und Isabela Merced.

Celeste O’Connor, Dakota Johnson, Isabela Merced und Sydney Sweeney in „Madame Web“.
Celeste O’Connor, Dakota Johnson, Isabela Merced und Sydney Sweeney in „Madame Web“. Sony Pictures

Dabei mag sie gar keine Kinder! Was in ihrer Charakterzeichnung der einzige menschliche „Fehler“ einer Frau ist, die sich sonst ganz als abgebrühte Heldin wie aus früheren Zeiten präsentiert: Eine emotional unbeeindruckte, ungebundene Frau ohne enge Freunde oder Familie, die tagein, tagaus durch den Verkehr kurvt, dabei am Fließband Menschenleben rettet, ohne sich am Ende wirklich für die Lebenden zu interessieren. Die sich selbstlos und ohne zu Zögern zu glanzvollen, durch und durch coolen Taten aufschwingt. „Now you’re showing off“, jetzt gebe sie aber an, sagt eines der Teenagermädchen, als Cassie ihre Schützlinge präzise wie ein Roboter durch einen scheinbar unüberwindbaren Hindernisparcours aus explodierenden Feuerwerkskörper lotst. Die Heldin schmunzelt nur.

Durch und durch perfekte Heldin, durch und durch böser Gegner

Auch der Bösewicht (der französische Schauspieler Tahar Rahim) ist ein durch und durch böser Kerl ohne Skrupel. Eine Psychologisierung spart sich das Drehbuch. Nein, besondere Tiefe darf man sich nicht erwarten von diesem Film, der als durchaus spannendes Actionabenteuer immerhin zu unterhalten weiß. Und mit überzeugenden Darstellern aufwartet, denen man gerne dabei zuschaut, wie sie zu Britney Spears’ „Toxic“ ein Diner in Schutt und Scherben verwandeln.

Auf eine abgeschlossene Handlung ließen sich die Produzenten übrigens nicht ein: Wäre ja fahrlässig, sich die Möglichkeit auf ein paar Fortsetzungen nicht offenzuhalten.

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