Der ökonomische Blick

Buben sind nur leicht besser in Mathematik als Mädchen – aber halten sich für viel besser

In den meisten Ländern sind Buben in Mathematik etwas besser als Mädchen. Betrachtet man jedoch die Selbsteinschätzung der Buben und Mädchen, so ist der Unterschied viel größer als der Unterschied bei den Testergebnissen. 
In den meisten Ländern sind Buben in Mathematik etwas besser als Mädchen. Betrachtet man jedoch die Selbsteinschätzung der Buben und Mädchen, so ist der Unterschied viel größer als der Unterschied bei den Testergebnissen. Die Presse/Clemens Fabry
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Wenn man einen Buben und ein Mädchen mit identischen Mathenoten oder Testergebnissen befragt, denkt der Bub, dass er in Mathematik etwa eine halbe Note besser ist als das Mädchen. Dies ist sogar bei eineiigen Zwillingen der Fall. Woher kommt dieser Unterschied?

In den meisten Ländern sind Buben in Mathematik etwas besser als Mädchen. Betrachtet man jedoch die Selbsteinschätzung der Buben und Mädchen, d. h. wie gut sie ihrer Meinung nach in Mathematik sind, so ist der Unterschied viel größer als der Unterschied bei den Testergebnissen. Die folgende Abbildung beruht auf Daten der Trends in International Mathematics and Science Study und vergleicht geschlechtsspezifische Unterschiede bei Mathematik-Testergebnissen und die Selbsteinschätzungen von Viertklässlern in OECD-Ländern. Im Durchschnitt sind Buben in Mathematik um 0,1 Standardabweichungspunkte besser als Mädchen, schätzen sich selbst aber um 0,3 Standardabweichungspunkte besser ein. In Österreich ist der Unterschied in der Selbsteinschätzung noch höher, bei knapp 0,4. Warum ist das ein Problem? Wenn talentierte Frauen mathematische Bereiche meiden, weil sie ihre Fähigkeiten im Vergleich zu Männern fälschlicherweise unterschätzen, führt dies zu unnötigen sozialen und wirtschaftlichen Verlusten, auch über Generationen hinweg.

In allen Ländern, mit Ausnahme von zwei Ländern, ist der Unterschied zwischen der Selbsteinschätzung von Buben und Mädchen in Mathematik höher als in ihren Testergebnissen.

Jeder Wert steht für ein Land. Die horizontale Achse zeigt den Unterschied zwischen den Geschlechtern bei den Mathematik-Testergebnissen, die vertikale Achse zeigt den Unterschied bei der Selbsteinschätzung in Mathematik. Die rote Linie auf der Diagonale zeigt, wo die beiden Unterschiede gleich groß sind. Die Daten zur Selbsteinschätzung und zu den Testergebnissen in Mathematik sind standardisiert (der Mittelwert ist null und die Standardabweichung eins). Die geschlechtsspezifische Differenz ist die Differenz zwischen den Ergebnissen von Buben und Mädchen, d. h. eine positive Differenz bedeutet, dass die Ergebnisse der Buben höher sind als die der Mädchen. 

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse“-Redaktion entsprechen.

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In unserer Forschung verwenden wir Zwillingsdaten, um besser zu verstehen, was die Vorstellung nährt, dass Buben in Mathematik viel besser seien als Mädchen, obwohl sie in Wirklichkeit nur ein leicht besser sind. Dazu verwenden wir Daten aus der Twins Early Development Study, einer Längsschnittstudie, bei der wir Zwillingspaare des gleichen und des anderen Geschlechts von Geburt an verfolgen können. Wir vergleichen Buben und Mädchen, die dieselben Eltern haben und ähnliche Mathematiknoten, Testergebnisse und kognitive Fähigkeiten aufweisen, die mit verschiedenen Intelligenztests gemessen werden. Der geschlechtsspezifische Unterschied in den mathematischen Selbsteinschätzungen bleibt bei diesen Zwillingspaaren bestehen und ist sogar größer als in der Gesamtstichprobe. Bis zu einem Viertel dieses Unterschieds kann auf Unterschiede in den tatsächlichen Mathematikleistungen zurückgeführt werden. Die Wahrnehmung der Mathematikkenntnisse ihrer Söhne und Töchter durch die Eltern ist ebenfalls verzerrt. Diese Verzerrung besteht auch bei der Beurteilung von Mathematiklehrern, die Kinder unterrichten, wenngleich sie dort etwas geringer ausfällt.

Urteile der Eltern äußerst wichtig

Die Zwillingsdaten helfen uns, besser zu verstehen, wie Vorurteile über die unterschiedlichen Mathematikfähigkeiten von Jungen und Mädchen innerhalb der Familien reproduziert werden. Die Urteile der Eltern über ihre Kinder sind sehr wichtig und machen 23 Prozent des geschlechtsspezifischen Unterschieds bei den Selbsteinschätzungen in Mathematik aus (zusätzlich zu den objektiven Fähigkeiten). Wir stellen fest, dass der Unterschied bei den Selbsteinschätzungen von Buben und Mädchen in Mathematik nur signifikant ist in Familien, in denen die Eltern ihre Kinder stereotypisch einschätzen, d. h. die Mathematikfähigkeiten ihrer Söhne im Vergleich zu den objektiven Noten über- und die ihrer Töchter unterbewerten.

Nicht nur die Eltern spielen eine Rolle, sondern auch die Geschwister. Wenn es sowohl männliche als auch weibliche Kinder in der Familie gibt, ist es einfacher, dem Buben das Etikett „gut in Mathematik“ und dem Mädchen „gut im Lesen“ zuzuweisen, das dann an den Kindern haften bleibt, unabhängig davon, wer tatsächlich gut in Mathematik ist. Interessanterweise haben Kinder, die einen männlichen Zwilling haben, unabhängig vom Geschlecht eine schlechtere Selbsteinschätzung in Mathematik als Kinder, die einen weiblichen Zwilling haben, selbst wenn ihre objektiven mathematischen Fähigkeiten ähnlich sind. Wenn wir jedoch auch die mathematische Selbsteinschätzung eines männlichen Zwillings berücksichtigen, stellen wir eine andere Beziehung zwischen Buben und Mädchen fest. Buben halten sich selbst für besser in Mathematik, wenn ihr männlicher Zwilling sich selbst für gut in Mathematik hält, aber Mädchen tun dies nicht. Die Selbsteinschätzung der Kinder in Mathematik hängt nicht von den tatsächlichen mathematischen Fähigkeiten ihres männlichen Zwillings ab, sondern nur von dessen Selbsteinschätzung. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich der Kontakt mit Buben mit hohem Selbstvertrauen positiv auf das Selbstvertrauen von Buben auswirkt, aber nicht auf das von Mädchen. Dieses Phänomen könnte der Grund dafür sein, dass Frauen in akademischen Laufbahnen und in der Geschäftswelt, die in der Regel voller selbstbewusster Männer ist, immer noch so benachteiligt sind. Ein solches Umfeld kann das Selbstvertrauen von Männern weiter stärken und ist daher für sie möglicherweise attraktiver als für Frauen.

Die Autorin

Beigestellt

Anna Adamecz erhielt ihren PhD an der Central European University und ist Assistenzprofessorin für Wirtschaftswissenschaften am UCL Social Research Institute im Vereinigten Königreich und Senior Research Fellow bei KRTK KTI in Ungarn.

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