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„Des Teufels Bad“: Ein Klageschrei voller Kinokraft

Noch ist Agnes (Anja Plaschg) blind für die Misere, die ihr in ihrer Ehe mit Wolf (David Scheid) bevorsteht: Der österreichische Film „Des Teufels Bad“ hat in Berlin Chancen auf einen Goldenen Bären.
Noch ist Agnes (Anja Plaschg) blind für die Misere, die ihr in ihrer Ehe mit Wolf (David Scheid) bevorsteht: Der österreichische Film „Des Teufels Bad“ hat in Berlin Chancen auf einen Goldenen Bären.Filmladen
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Eine Frau schert anno 1750 im ländlichen Oberösterreich aus – mit argen Folgen. „Des Teufels Bad“ von Severin Fiala und Veronika Franz überzeugt beim Berlinale-Filmfest.

Tote bringen Glück in „Des Teufels Bad“, dem jüngsten Film von Severin Fiala und Veronika Franz, der am Dienstag im Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele Premiere feierte. Zu Beginn legt dessen Hauptfigur, die junge Agnes (Anja Plaschg), den abgeschnittenen Finger einer hingerichteten Kindsmörderin, den ihr Bruder ihr zuvor als Hochzeitsgeschenk überreicht hat, nach einem Segenskuss unters Ehebett: Eine morbide Reliquie, ein Todestalisman, der neues Leben in Kinderform für die frisch Vermählten beschwören soll.

Daraus wird nichts. Dennoch weist der Finger der Enthaupteten Agnes einen Pfad aus der elendigen Misere, in der sie sich bald wiederfindet. Nur eben anders als gedacht.

Eingangs scheint die Sonne des 18. Jahrhunderts noch auf die Trauung von Agnes und ihrem gutmütigen, aber etwas einfältigen Gatten, Wolf (David Scheid, bekannt aus der ORF-Serie „Dave“). Doch bereits beim Hahnschlagen mit dem Dreschflegel wird klar, dass hier Gewalt im Busch ist. Und es dauert nicht lang, bis drückende Dunkelheit ins Land zieht, bis die kalten Ketten der katholischen Knechtschaft sich um Agnes winden und ihr die Atemluft abschnüren.

Denn die sensible und naturverbundene Frau will sich nicht einfügen in das strenge Regime, das die bäuerliche Gesellschaft in Oberösterreich strukturiert. Hier, zwischen dichten Wäldern und moosüberwucherten Steinen, wo die Kirchen, Schlösser und Häuser wie Felsen aus dem Boden ragen, haben Weibsbilder den Haushalt zu führen und der Familie ihres Mannes zu dienen. Agnes hingegen ist eine Künstlerseele, die sich am Knacken im Gehölz erfreut und mit Schmetterlingen tändelt. Beim anstrengenden Karpfenfang ist sie Wolfs Mutter (Maria Hofstätter) keine große Hilfe. Und auch mit dem Kindchen klappt es nicht: Wolf hat’s nicht so mit den Frauen. Was im patriarchalen System freilich Agnes’ Problem ist, nicht seins.

Also kommt die Unglückliche, die vom Gemüt her etwas in sich trägt, was man heute Depression nennen würde – und nicht nur damals als sozial unverträgliche Schwermut abtat –, der Welt immer mehr abhanden. Sie flüchtet sich in Arbeitsverweigerung, (Alb-)Träume, Selbstverletzung. In ihren persönlichen Herrgottswinkel im Keller, der trotz Kreuz an einen paganen Schrein erinnert. Und in Visionen der Kindsmörderin. Selbstmord ist für die gläubige Agnes kein gangbarer Ausweg. Ein Mord hingegen …

Geschichtsstunde des Grauens

Es ist ein düster schallender Klageschrei, den Franz und Fiala in ihrem dritten Langspielfilm auf der Leinwand loslassen, tief gefühlt und kunstvoll in Szene gesetzt. Ihr Vorwurf richtet sich nicht gegen einzelne Menschen, die fehlbar sind, sondern gegen den ideologisch-religiösen Komplex, der oft ihr Verhalten formt – und alles, was deviant ist, dem Opferaltar zuführt. Seine Macht gründet auf einer ästhetisch notdürftig verbrämten Doktrin der Ausbeutung und Repression.

„Willkommen in Österreich!“, könnte manch einer Vertreterin der internationalen Kritik angesichts von „Des Teufels Bad“ entfahren; das heimische Kunstkino ist noch immer entsprechend punziert. Doch das Regiegespann hinter dieser recherchebasierten Geschichtsstunde des Grauens hat schon mit seinem Vorgängerwerk, der Übersee-Produktion „The Lodge“, gezeigt, dass gewisse Sozialpsychosen des Alpenlandes universellen Charakter haben. Ob die Berlinale-Jury das wohl auch so sieht?

Manche Fans der Urheber des Psychothrillers „Ich seh ich seh“ könnten enttäuscht sein, dass „Des Teufels Bad“ – der demnächst regulär in Österreich startet – das Genrehafte an ihrem Schaffen ein wenig zurückstellt, zugunsten von (bisweilen etwas nebulöser) Atmosphärenweberei. Sie wird von betörend viskoser Musik gestützt, die Hauptdarstellerin Plaschg alias Soap&Skin komponiert hat. Doch wer den nicht ohne Absicht entkräftenden Endspurt des Streifens aussitzt, wird mit einer der intensivsten Beichtszenen des heimischen Kinos belohnt – und mit einem Finale furioso, das mit feister Faust feuchtfröhlich in die Wunde fährt, die der Film davor Schicht für Schicht freigelegt hat.

„Des Teufels Bad“ ist die letzte große Austro-Premiere bei der 74. Berlinale, die aus heimischer Sicht fast einer Landschulwoche glich: Auch hier gezeigte Filme von Josef Hader und Anja Salomonowitz beackerten das Rurale. Eine Antwort auf alle Probleme bot indessen ein berührender Essayfilm von Ex-ÖFM-Chef Alexander Horwath. Sie lautet wie sein Titel: „Henry Fonda for President“.

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