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Songcontest: „Schlampe“ ruft die stolze Frau

Selbsternannte Schlampe: Mery Bas vom Duo Nebulossa beim Benidorm-Festival.
Selbsternannte Schlampe: Mery Bas vom Duo Nebulossa beim Benidorm-Festival. Getty
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Der Songcontest-Beitrag „Zorra“ will ein Schimpfwort in einen feministischen Schlachtruf verwandeln. Zuerst fand das auch Premier Sanchez toll, jetzt hagelt es Proteste.

Eines muss man dem Duo Nebulossa lassen: Ihr seichter Schlager „Zorra“ ist ein Ohrwurm. Halb Spanien trällert die schlichte Melodie vor sich hin, seit das Lied Anfang Februar zum Songcontest-Beitrag des Landes gewählt wurde. Die Kür fand auf dem Benidorm-Festival statt. Das ist eine Art iberisches Sanremo, wenn auch erst vor kurzem gegründet und weit weniger staatstragend als das italienische Pendant. Aber als hochgradiges Politikum hat sich heuer der Text des obsiegenden Songs erwiesen. „Zorra“ bedeutet nämlich wörtlich „Füchsin“ und übertragen „Schlampe“. Ein der Fauna entnommenes Schimpfwort also, bedeutungsgleich mit „perra“, der Hündin. Und diesfalls besonders ungerecht, weil der männliche Fuchs wie auch im Deutschen nicht mit zügellosem Sexualverhalten, sondern mit dem Attribut der Schlauheit assoziiert wird. Ganz zu Schweigen vom altruistischen Wagemut von Zorro, dem Rächer der Armen.

Grund genug für die Sängerin Mery Bas, sich die männliche Invektive kulturell anzueignen, durch einen Raubzug im sprachlichen Revier des Patriarchats. Die 55-Jährige erklärte „Schlampe“ kurzerhand zum feministischen Schlachtruf und Symbol der Selbstermächtigung der Frauen. „Wenn ich allein ausgehe, bin ich eine Schlampe, wenn ich mit amüsiere, noch mehr“, moniert sie im Text, und dekliniert die Klage über die Missachtung durch Männer immer weiter durch: „Wenn ich erreiche, was ich will, habe ich es nie verdient, und selbst wenn ich die Welt erobere, schätzt man es keine Sekunde lang.“

Dieser brave, fast schmallippige Protest kontrastiert kräftig mit der Inszenierung: Auf der Bühne lässt sich Bas, während ihr Partner am Keyboard klimpert, von halbnackten Lustknaben in Lackstiefeln und Latex-Korsett umtanzen. Auch deshalb hat man in Malmö, wo das eurovisionäre Wettsingen am 11. Mai stattfinden soll, kurz einmal geschluckt, dann aber den Beitrag durchgewunken. Optische Entgleisungen sind in diesem Rahmen ja eher die Regel als die Ausnahme.

Sogar die BBC übt Kritik

Die Spanier haben den Elektropopsong vielmillionenfach gestreamt. Der sozialdemokratische Premier Pedro Sanchez nutzte den Hype zu launigen Bemerkungen in einem Fernsehinterview: Ihm gefalle das, diese Art von Provokation könne nur aus der Kultur kommen, und der Feminismus sei nicht nur richtig, sondern auch unterhaltsam. Ein Seitenhieb auf die politischen Gegner durfte nicht fehlen: Der „Faschosphäre“ wäre wohl lieber gewesen, Spanien hätte „Cara al Sol“ ins Rennen geschickt – dieses „Gesicht zur Sonne“ war eine Hymne der Franco-Diktatur.

Aber der Wind hat sich gedreht. Das Lied sei „keine Kultur, sondern eine Glorifizierung des brutalsten Machismo“, lässt eine Parteikollegin Sánchez ausrichten. Eine feministische Plattform schreibt: In 15.000 Gerichtsurteilen zu Gewalt an Frauen komme das Wort Schlampe vor, und die Vorstellung, ein solch „ordinäres und frauenfeindliches Lied“ könne dem ein Ende bereiten, sei „ein übler Scherz“. Sogar von der britischen BBC kommt Kritik. Eine Umfrage unter den Spaniern hat ergeben (auf die Kommastelle genau, wie sie es lieben): 59,3 Prozent halten das Lied nicht für feministisch, unter Frauen und Älteren noch mehr, und allein die Wähler der Linksaußen-Partei Sumar sehen in seiner Botschaft eine Selbstermächtigung.

Hat also nicht funktioniert. Das Vorbild war wohl die Schwulenbewegung, die einst das sie abwertende Adjektiv stolz übernahm und sich damit gegen Kränkungen immunisierte: Wir sind schwul, na und? Dass sich so etwas auch über die ganz leichte Muse transportieren ließe, ist gerade in Spanien durchaus denkbar. Mitsing-Lieder, deren Text auch erstaunlich viele auswendig können, haben dort die gesellschaftspolitische Öffnung begleitet, seit den Jahren der „Movída“, dem kollektiven Partyrausch nach dem Ende der Diktatur. Aber dafür ist „Zorra“ dann doch zu flach – fast wie ein Fuchsfell als Bettvorleger.

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