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Die Golfstromgeisterbahn

Hui, es droht eine Eiszeit. Irgendwann halt. (Bild: die zugefrorene Alte Donau in Wien.
Hui, es droht eine Eiszeit. Irgendwann halt. (Bild: die zugefrorene Alte Donau in Wien.Clemens Fabry
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Die Schreckensgeschichte vom Abriss der für Europa wichtigen Meeresströmung hatte zuletzt wieder einmal Saison. Gibt‘s sonst eigentlich keine andere Strömung? Es muss doch anderswo noch etwas geben, vor dem man sich fürchten kann!

In den vergangenen Wochen hast du echt geglaubt, die Welt geht unter. Viele Medien vom ORF bis zum Sibratsgfäller Dorfblatt meldeten, dass der Golfstrom abreißen könnte. Sie wissen, das ist diese von äquatorialem Warmwasser genährte Meeresströmung von der Karibik bis vor Nordamerika, die als Nordatlantikstrom weiter gen Europa fließt und bewirkt, dass es sich dort bis Norwegen hinauf recht angenehm leben lässt.

Werden der Golfstrom und seine Folgeströme zu langsam oder stoppen gar, etwa wegen gewisser Folgen der Klimaerwärmung (Verdünnung des Meerwassers durch Süßwasser tauender Eismassen der Antarktis und Grönlands zum Beispiel), drohe Europa und Nordamerika eine neue Eiszeit. Wann? In den nächsten 100 Jahren oder erst in dreitausend, schon heuer im April oder auch gar nicht, besagen die Studien, einfach gesagt. Es würde jedenfalls ziemlich wild, Temperaturstürze um fünf bis 30 Grad etwa, mehr Trockenheit, Kollaps der Zivilisation und so.

In früheren Äonen sollen Golf- und Nordatlantikstrom übrigens schon mehrfach gestottert haben, damals war es dann auch recht frisch, inklusive Eiszeiten. Allerdings ohne Zutun von Verbrennungsmotoren, Gasheizungen und Flugreisen.

Karte größerer Meeresströmungen und Wirbel (mit Abstand nicht vollständig).
Karte größerer Meeresströmungen und Wirbel (mit Abstand nicht vollständig).seos-project.eu

Tja, der Golfstrom. Diese G‘schichten kommen alle Jahre wieder, samt Sirenenklang und Sorgenfalten. Man muss sich vor lauter Golfstromfixierung fragen: Gibt‘s denn sonst gar keinen Meeresstrom? Eine Liste nennt mehr als 80, etwa den Humboldtstrom im Pazifik vor Südamerika, den Benguelastrom vor Südwestafrika, den Agulhas-Strom vor Südostafrika, den Ostmadagaskar-Strom, Somalistrom, Westaustralienstrom, Falklandstrom, Grönlandstrom, Kamtschatka-Strom, Tasman-Strom etc. Im globalen Schwimmbecken geht‘s ziemlich zugig und wirblig zu. Was also, wenn anderen Meeresströmen etwas passiert und es daher anderswo auf der Welt rumpelt? Dazu gibt‘s scheinbar wenig Forschung und noch weniger mediale Aufmerksamkeit, jedenfalls bei „uns“ zwischen Wien und Wildwestanien. Da schauen alle auf den Golfstrom und fürchten sich.

Das ist eigentlich voll euro-ami-zentrisch, diskriminierend und White-People-Angst. Man sollte dringend auch andere Meeresströme untersuchen. Irgendwas findet man dort sicher, um die lustige Geisterbahn zu verlängern. (wg)

E-Mails an: wolfgang.greber@diepresse.com

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