Brand in Gefangenenbaracke

Augenzeuge von Oleniwka: „Die Menschen starben, weil sie nicht versorgt wurden“

Protestaktion vor der russischen Botschaft in Kiew von Angehörigen am 29. Juli 2023, ein Jahr nach dem Unglück.
Protestaktion vor der russischen Botschaft in Kiew von Angehörigen am 29. Juli 2023, ein Jahr nach dem Unglück.Reuters / Gleb Garanich
  • Drucken

Ein Ex-Gefangener berichtet vom Massentod im russischen Gefangenenlager von Oleniwka im Juli 2022. Angehörige verlangen mehr internationales Engagement, damit Männer freigelassen werden.

Aus den vielen blutigen Ereignissen im russisch-ukrainischen Krieg sticht die Tragödie von Oleniwka hervor. In der Nacht von 28. auf 29. Juli 2022 starben nach einer Explosion in einem Gefangenenlager im russisch besetzten ukrainischen Ort Oleniwka vermutlich 49 ukrainische Kriegsgefangene. Mehr als 70 Personen wurden schwer verletzt. Auch eineinhalb Jahre später sind die genauen Umstände nicht abschließend geklärt. Die Datenlage ist prekär, die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Russland blockiert eine internationale Untersuchung des Tatorts. Die Mehrheit der Überlebenden des Blutbads bleibt in russischer Gefangenschaft.

Der am Dienstag in Wien vorgestellte Bericht der ukrainischen Organisation Medieninitiative für Menschenrechte (Mipl) zeichnet den Hergang des Vorfalls durch Augenzeugenberichte nach und sieht eine russische Urheberschaft des „Verbrechens“ als sehr wahrscheinlich. Die Augenzeugenberichte machen jedenfalls deutlich, dass die Besatzer wenig Interesse am Überleben der verwundeten Männer hatten.

Explosion im Inneren?

Einer der Augenzeugen war Ostap Schwed. Der Sanitäter wurde mit anderen 2500 Soldaten nach der ukrainischen Kapitulation im Mai 2022 in Mariupol gefangen genommen. Er und andere Mariupol-Verteidiger fanden sich in Oleniwka wieder. Am 27. Juli, einen Tag vor der Explosion, wurden 193 Soldaten, die allesamt dem Regiment Asow angehört hatten, in eine neue Baracke transferiert. Die Asow-Kämpfer galten als besonders unbeugsam und ukrainisch-patriotisch. In der russischen Propaganda werden sie häufig als „Neo-Nazis“ tituliert. Die Halle im Wirtschaftsteil der Strafkolonie war nur behelfsmäßig eingerichtet. „Die Bedingungen waren schwierig. Es gab kein Trinkwasser“, erzählt Schwed. Am Abend des nächsten Tages kam es zu zwei Explosionen, Feuer brach aus.

Schwed ist überzeugt, dass es keine ukrainische Rakete war, die die Halle traf, wie von Moskau später behauptet. Schwed glaubt an eine Explosion im Inneren. Die Folgen waren schrecklich: „Überall waren Tote und Verwundete.“ Er habe versucht, Überlebende zu retten. Doch die Russen ließen keinerlei Hilfe zu. Zwei Bandagen, ein paar Betttücher und ein Tourniquet zum Abbinden von Extremitäten war alles, was er von den Wärtern erhielt. Die Gefangenen waren sich selbst überlassen. „Viele Menschen starben, weil sie nicht medizinisch versorgt wurden.“

»Wir wissen, dass die Überlebenschance der Gefangenen gering ist.«

Maria Aleksijewitsch

Ehefrau eines Kriegsgefangenen

Auch der weitere Umgang mit den Überlebenden war unmenschlich. Schwed und andere leicht Verwundete wurden isoliert und später in eine russische Strafkolonie überstellt. Schwere Prügel und Folter gehörten zum Tagesablauf, erzählt der 30-Jährige, dessen Stimme immer wieder stockt. Erst sieben Monate später kam er frei. Nach ukrainischen Angaben sind 111 Asow-Mitglieder aus der Baracke noch immer in Gefangenschaft. So auch der Mann von Maria Aleksijewitsch, die ebenfalls nach Wien gekommen war. Aleksijewitsch weiß nicht, wo ihr Mann ist, wie es ihm geht. Von den rund 10.000 ukrainischen Kriegsgefangenen ist nur ein Viertel offiziell von Moskau bestätigt. Die junge Frau sorgt sich: „Wir wissen, dass die Überlebenschance der Gefangenen gering ist. Denn sie sind Zeugen dessen, was wirklich passiert ist.“ Die junge Frau verlangt mehr internationales Engagement für die Gefangenen – und Zugang zum Tatort von Oleniwka.

Informationen

Die Medieninitiative für Menschenrechte (Mipl) ist im Internet zu finden unter: https://mipl.org.ua/en/

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.