Russendenkmal

Weniger Gesten, mehr Geld

Wir sollten Geschichte nicht ausradieren. Der Abbau des Russendenkmals in Wien wird der Ukraine eher nicht helfen.

Zwei Jahre nach Kriegsbeginn muss man anerkennen: Die Ukraine befindet sich an einem Tiefpunkt. Ihre im Juni begonnene Gegenoffensive im Osten des Landes war nicht annähernd so erfolgreich, wie Kiew gehofft hatte. Ihre Gebietsgewinne waren minimal, und im Laufe des Winters drehte Russland den Spieß um. Russland hat wegen seiner militärischen Überlegenheit die Überhand gewonnen, und die Ukraine braucht dringende Finanz- und Militärhilfe, um ihren Widerstand gegen die Aggression Putins aufrechtzuerhalten.

Unter diesen schlimmen Umständen und in Anbetracht der Ermordung des Oppositionspolitikers Alexei Nawalny ist die Diskussion in Österreich wieder auf das sogenannte Russendenkmal in Wien als Sinnbild russischer Macht zurückgekommen. Soll es kontextualisiert oder abgebaut werden, um Solidarität mit der Ukraine zu bekunden?

Es besteht kein Zweifel daran, dass das 1945 errichtete Heldendenkmal der Roten Armee seitens des Stalin-Regimes ein Propagandainstrument und eine Überlegenheitsprojektion war, wenn man sowohl seine Größe als auch den Kontext des Kriegsendes und der Besetzung Osteuropas bedenkt. Aber seine Dimensionen spiegeln auch das erstaunliche Ausmaß des sowjetischen Opfers im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen Nazismus wider: circa zehn Million militärische Verluste und weitere 16 Million zivile.

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Dazu zählen die rund 17.000 Soldaten aus den 2. und 3. Ukrainischen Formationen, die im März und April 1945 bei der Schlacht um die Befreiung Wiens fielen und zu deren Ehren die Säule und Kolonnade am Schwarzenbergplatz errichtet wurden. Das Denkmal bleibt das sichtbarste, das diesen historischen Kampf memoriert, und diese Geschichte soll nicht ausradiert werden, um die Verbrechen der Gegenwart zu rächen. Im Gegensatz zu dem Schandfleck auf dem Dr.-Karl-Lueger-Platz oder der kitschigen Che-Guevara-Büste im Donaupark gehört das Rote-Armee-Denkmal nach Wien und soll da stehen bleiben.

Verzweiflung, nicht Vernunft

Die Zerstörung des Denkmals ist kein Vernunftvorschlag, sondern ein Verzweiflungsschrei. Sie würde weder das Andenken Nawalnys hochhalten und die Opposition gegen Putin stärken noch der Ukraine in ihrem existenziellen Kampf gegen Imperialismus und Revanchismus helfen. Die Debatte über das Wiener Weltkriegsdenkmal ist auf jeden Fall nur ein Nebenkriegsschauplatz.

Laut der Yale School of Management sind österreichische Konzerne noch in verschiedenen Sektoren der russischen Wirtschaft aktiv. Trotz Sanktionen wuchs das russische BIP letztes Jahr um 3,6 Prozent, und der Kreml hat seine Taschen durch eine Sondersteuer für Unternehmensgewinne gefüllt. Die Abhängigkeit Österreichs vom russischen Gas ist hoch: Der Importanteil von Gas aus Russland lag im Dezember 2023 bei 98 Prozent. Die OMV hat gute Gelegenheiten verpasst, ihren Vertrag mit Gazprom außerordentlich zu kündigen.

In seinem neuesten Buch „The Story of Russia“ schrieb der britische Historiker Orlando Figes, die Gegenwart in Russland werde von Erzählungen und Mythen über die Vergangenheit stark beeinflusst. Eines davon sei das Ressentiment, der sowjetische Beitrag zum Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg sei nie ausreichend gewürdigt worden. Es ergibt keinen Sinn, dieses selbstmitleidige Narrativ durch einen Abbau des Heldendenkmals zu bedienen. Die Ukraine braucht weniger Gesten und mehr Geld – und Österreich eine härtere Wirtschafts- und Sicherheitspolitik.

Liam Hoare (*1989 in Crawley, Großbritannien) ist Europe Editor des „Moment Magazine“, einer Zeitschrift
über jüdische Kultur, Politik und Religion. Er schreibt den englischsprachigen Newsletter „The Vienna Briefing“.

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„Die Presse“, Printausgabe. 29.2.2024

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