Der ökonomische Blick

Geht es den Schweizern so gut, weil der Staat kein Geld verjuxt?

Blick auf Bern. Für Österreich betrug die Staatsquote 2022 52,4 Prozent, in der Schweiz nur 33,6 Prozent. Geht es den Schweizern also gut, oder sind sie arm dran? 
Blick auf Bern. Für Österreich betrug die Staatsquote 2022 52,4 Prozent, in der Schweiz nur 33,6 Prozent. Geht es den Schweizern also gut, oder sind sie arm dran? Via imago-images.de
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Immer wieder wird die Staatsquote angeführt, um die Lage eines Staats einzuschätzen. Die Aussagekraft im internationalen Vergleich ist jedoch fragwürdig.

Zur Charakterisierung der wirtschaftlichen und sozialen Lage eines Staats werden unterschiedliche Kennzahlen verwendet – Bruttoinlandsprodukt (BIP), BIP/Kopf, Maße für Ungleichheit, Armutsquote, Arbeitslosenzahlen usw. Die entsprechenden Daten werden für internationale Vergleiche und für die Darstellung von Entwicklungen über die Zeit hinweg verwendet.

Eine der immer wieder angeführten Kennzahlen ist die Staatsquote. Das ist der Prozentsatz der staatlichen Ausgaben für politisch gewünschte Ziele gemessen an der Höhe des BIPs. Kommerzielle Aktivitäten des Staates, etwa durch Staatsunternehmen, zählen nicht dazu. Für Österreich betrug sie im Jahr 2022 52,4 Prozent, in Deutschland war sie etwas niedriger, in der Schweiz nur 33,6 Prozent. Geht es den Schweizern so gut, weil der Staat kein Geld verjuxt; oder sind die Schweizer arm dran, weil ihnen der Staat nur wenig bietet? Ein Blick nach dem Norden: Die Staatsquote in Schweden lag 2022 bei etwas über 48 Prozent, in Finnland war sie ähnlich hoch wie in Österreich, in Norwegen rund 45 Prozent. In den USA liegt die Staatsquote unter 40 Prozent.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Aussagekraft fragwürdig

Die Aussagekraft dieser Kennzahl ist aber fragwürdig. Man muss bei der Berechnung der Staatsquote zwei unterschiedliche Systeme staatlicher Aktivitäten unterscheiden. Das eine sind die Ausgaben für die Produktion der Dienste und der Einrichtungen des Staats. Es handelt sich dabei um einen Teil des BIPs. Der Lohn jedes Lehrers, jeder Polizistin erhöht das BIP um den entsprechenden Bruttolohn. Würde der Lohn der Beamten verdoppelt und gleichzeitig eine Spezialsteuer für Beamte in der gleichen Höhe eingeführt werden, so würden das BIP und die Staatsquote steigen, ohne dass sich irgendetwas geändert hätte. Die zweite in der Staatsquote erfasste Aktivität des Staats sind die Zahlungen zur Umverteilung. Das sind in erster Linie die großen staatlichen Sozialsysteme, nämlich Pensionen Gesundheitsvorsorge und die finanzielle Familienunterstützung.

Staaten unterscheiden sich aus historischen und aktuellen politischen Gründen darin, was als Aufgabe des Staats gesehen wird und was nicht dazugehört. In Österreich wird der Zugang zu Gesundheitsdiensten als Aufgabe des Staats gesehen. In der Schweiz muss aus den nach Steuern ausbezahlten Gehältern noch die Krankenversicherung gezahlt werden. Es gibt eine Pflicht, sich zu versichern, aber es ist keine Aktivität des Staats. Das reduziert die Staatsquote. Das Gesundheitssystem der Schweiz mag in manchen Aspekten besser als das österreichische sein, in anderen schlechter. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es viel besser oder viel schlechter ist. In den USA gibt es ein öffentliches Gesundheitssystem nur für Personen älter als 67 (Medicare) und für arme Menschen (Medicaid). Wer nicht zu einer der beiden Gruppen gehört, hat eine private Versicherung oder ist über den Arbeitgeber versichert.

Das deutsche Pensionssystem sieht geringere Ersatzquoten vor als das österreichische. Die vom Staat eingehobenen Summen können daher niedriger sein als in Österreich. Die privaten Haushalte müssen in Deutschland mehr sparen, um das gleiche Einkommen im Alter zu haben wie in Österreich. In den USA sichert das staatliche Pensionssystem nur eine sehr niedrige Pension. Für das Alter selbst vorzusorgen ist für die Menschen mit höherem Einkommen eine Selbstverständlichkeit.

Österreichs Staatsquote wird steigen

Die Staatsquoten international zu vergleichen setzt auch voraus, dass die Unterscheidung zwischen staatlichen und marktwirtschaftlichen Aktivitäten klar und eindeutig ist. Das ist aber oft nicht der Fall. Der organisierte Nahverkehr in Wien ist sicher ein öffentlich angebotenes Gut. Dazu gehören auch die beauftragten privaten Buslinien. Werden sie herausgerechnet aus den Bilanzen dieser Unternehmen bei der Berechnung der Staatsquote? Das ist ein kleiner Fall, aber wie ist das bei den ÖBB? Das Netz der Eisenbahn ist eindeutig ein öffentliches Gut. Für den Transport von Menschen und Gütern auf diesem Netz gilt das nicht. Für die ÖBB ist das eine kommerzielle Tätigkeit mit viel Wettbewerb. Sie sollte nicht in der Staatsquote enthalten sein.

Unterschiede in den Staatsquoten zwischen Staaten sagen nichts aus, auch wenn man eine hohe Staatsquote als gut beziehungsweise schlecht ansieht. Aber die Entwicklung der Staatsquote für einen bestimmten Staat kann sinnvoll gedeutet werden. Man muss nur annehmen, dass die institutionellen Strukturen der Staaten und deren Abbildung in den entsprechenden Daten sich nicht rasch verändern.

Eine Prognose sei aber gewagt: Die Staatsquote in Österreich wird steigen. Alle sind dafür, aber nicht alle sagen es. Wir brauchen mehr Lehrer, Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Eisenbahner, Polizisten, Busfahrer, Soldaten, Ärzte am Land. Auch ich finde das gut. Aber wie soll das gehen – ohne einen Anstieg der Staatsquote?

Der Autor

Peter Rosner war Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der Uni Wien. Er schrieb für das „Spectrum“ viele Beiträge zu Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.

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