Literatur

Christoph Ransmayr spannt den Bogen vom Suppenteller bis zum Nordpol

Weltreisender der Literatur: Christoph Ransmayr, geboren 1954 in Wels.
Weltreisender der Literatur: Christoph Ransmayr, geboren 1954 in Wels.Foto: Robert Brembeck
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Die Vielfalt des Erzählens lotet Christoph Ransmayr in seinem Band „Als ich noch unsterblich war“ aus.

Neben seinen Romanen und Geschichten schreibt Christoph Ransmayr seit dem Jahr 1997 an einer Reihe, die den Titel „Spielformen des Erzählens“ trägt. Ein literarisches Experimentierfeld, in dem er Ansprachen, Balladen, Märchen, Tiraden und vieles mehr veröffentlicht. Nun hat er einen Auswahlband daraus zusammengestellt, mit Texten, die, wie er im Vorwort sagt, „dem klassischen und populärsten Erzählton am nächsten kommen“.

Jahrhundertealte Lieder und Märchen

Abgesehen vom Vorwort versammelt er darin 13 Texte, pardon: 12a! Den Trick, die Unglückszahl zu umgehen, hat er von seiner früheren Wohnadresse in einem Wiener Gründerzeithaus übernommen. Eine Welt, in der der Aberglaube mit Sicherheit auch eine Rolle spielte, die Kindheit auf dem Land zwischen Geschwistern, Bauern, Handwerkern, einer bibelfesten Magd und einer „mit jahrhundertealten Liedern und Märchen“ vertrauten Mutter, ist für Ransmayr eine Art Wiege des Erzählens. Da reichte schon ein Teller mit Buchstabensuppe, um eine Geschichte von Karpfen oder Teufelsquallen daraus zu formen.

Schon ab dem zweiten Text nimmt Ransmayr uns mit auf seine Reisen, an den Phoksundo-See in Nepal, nach Sri Lanka, nach Hongkong und immer wieder nach Irland, wo er lange lebte. Und nicht wenig erfahren wir von seiner Welthaltung, seiner Kritik am Kolonialismus („Europa hat die Rechnungen für seine durch Jahrhunderte unternommenen Raubzüge quer über alle Kontinente dieser Erde nie bezahlt …“). Expansionsdrang verbunden mit ökologischer Zerstörung thematisiert er in „Strahlender Untergang“, seinem ältesten Text in diesem Band, der in lyrischer Prosa gehalten ist, und in dem schon die dystopischen Grundzüge späterer Werke angelegt sind.

Weltreise in der Bibliothek

Vieles ist auch als gute Ergänzung zu bekannteren Werken lesbar. Der Text „Floßfahrt“ etwa handelt von Ransmayrs Recherchen in der Österreichischen Nationalbibliothek auf den Spuren der Österreichisch-Ungarischen Nordpolexpedition, die zur Entdeckung einer Inselgruppe führte, die nach dem Kaiser „Franz-Josef-Land“ genannt wurde, und von der „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ handelt. „Floßfahrt“ ist auch eine Liebeserklärung an Archive und Bibliotheken, in denen der Autor hier versinkt. Mithilfe von Globen und Karten reist er ans Ende der Welt und entlarvt gleichzeitig die gefährliche Faszination für die „Terra incognita“.

Als Vorstudie zu „Der Fallmeister“ liest sich der Text „An der Bahre eines freien Mannes“, in dem Ransmayr vom Vater erzählt, den er nach Kleists Figur „Kohlhaas“ nennt, ein Rechtschaffener, der im guten Glauben an kommunalpolitischen Intrigen scheitert. Der Band endet jedoch humorvoll. „Damen & Herren unter Wasser“, ursprünglich in Verbindung mit Unterwasserfotografien von Manfred Walkobinger veröffentlicht, funktioniert auch ohne diese. Da tummeln sich etwa ein Museumswärter, ein Wasserbettverkäufer oder eine Schwimmlehrerin in der Tiefsee – verwandelt in geschwätzige Meerestiere wie Kalmare, Garnelen oder Quallen.

Mit seinen „Spielformen des Erzählens“ erweist sich Ransmayr einmal mehr als Homer unserer seltsamen Zeit.

Buch

  • Als ich noch unsterblich war
    Christoph Ransmayr
    Erzählungen. 224 S., geb.,
    € 25,50 (S. Fischer)

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