Proklamation

Die Wiener Festwochen kündigen „Volksprozesse“ an

Revolutionstheater: Musiker Herwig Zamernik vulgo Fuzzman, Theaterdirektorin Karoline Guiela Nguyen, Festwochenintendant  Milo Rau, Komponistin Bushra El-Turk, Choreografin Florentina Holzinger vor der Festwochen-Pressekonferenz im Hotel Imperial.
Revolutionstheater: Musiker Herwig Zamernik vulgo Fuzzman, Theaterdirektorin Karoline Guiela Nguyen, Festwochenintendant Milo Rau, Komponistin Bushra El-Turk, Choreografin Florentina Holzinger vor der Festwochen-Pressekonferenz im Hotel Imperial.APA / Eva Manhart
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Eine „Freie Republik“ werden die Wiener Festwochen am 17. Mai ausrufen. Angekündigt werden neben einem reichen Kulturprogramm auch „Wiener Prozesse“ mit echten Juristen und Urteilen. Ein kokettes, aber doch etwas anstößiges Spiel in der Grauzone zwischen Kultur und Politik.

„Steht auf, steht auf, ihr Töchter und ihr Söhne! Steht auf, steht auf, für aller Menschen Recht, lasst den Faschisten keine Chance, und wehrt den Anfängen wie felsenfest!“ Diese Zeilen sind die erste Strophe der Hymne der Freien Republik, als die sich die Wiener Festwochen ab heuer verstehen. So wurden sie zum Abschluss von deren Programmpressekonferenz gesungen, angeleitet von einem Trupp junger Menschen mit rot und grün vermummten Gesichtern, zur Gitarre und im Stehen, wie es sich gehört.

Dieses kleine Revolutionstheater, aufgeführt originellerweise im Hotel Imperial, hatte natürlich einen leicht selbstironischen Touch, befördert durch ungelenke Zeilen wie „Nur die Weite ist der Freiheit Schmaus“. Zugleich mag sie Sensible verstört haben, die sich bei Volkserhebungen mit gereckten Fäusten (solche sah man etliche beim Absingen der Hymne) unwohl fühlen. Beide Wirkungen kann die gesamte Inszenierung der seit heuer von Milo Rau verantworteten Festwochen zeitigen, sie ist geradezu darauf angelegt. Sie spielt, ja kokettiert damit.

Auch Yannis Varoufakis wird Rat

Die Freie Republik, die am 17. Mai zur Eröffnung der Festwochen am Rathausplatz ausgerufen werden soll, hat durchaus nicht den Charakter einer westlichen repräsentativen Demokratie, sondern erinnert an eine Räterepublik. Schon durch die Nomenklatur: Gelenkt wird sie durch einen „Rat der Republik“, der sich aus zwei Gruppen zusammensetzt. Erstens 31 von oben bestimmten Mitgliedern, darunter – neben Autorinnen wie Elfriede Jelinek und Annie Ernaux – der mit Che Guevara und Gaddafi sympathisierende Schweizer Soziologe Jean Ziegler, der ehemalige griechische Außenminister Yannis Varoufakis – derzeit auch als Erstunterzeichner der Petition zum Ausschluss Israels von der Biennale Venedig im Gespräch –, die Aktivistin Carola Rackete. Eine politisch nicht perfekt ausgewogene Auswahl. Dazu sollen allerdings 69 Vertreter der 23 Wiener Bezirke kommen, die, wie Milo Rau verspricht, repräsentativ für die Bevölkerung sein sollen, also etwa auch mit Parteigängern der FPÖ.

Diese Partei und die Frage, ob sie womöglich verboten werden solle, wird im Fokus eines von drei „Wiener Prozessen“ stehen, die im Odeon stattfinden sollen, geleitet von echten Juristen wie Irmgard Griss und Alfred Noll. Die Prozesse seien ergebnisoffen, betont Milo Rau, es könne sogar herauskommen, dass andere oder gar alle Parteien außerhalb des Verfassungsbogens stehen. Im zweiten Prozess soll der Umgang mit Corona aufgearbeitet werden, im dritten geht es um die „Heuchelei der Gutmeinenden“, aber auch um linken Antisemitismus, in diesem Prozess will sich auch Rau selbst anklagen lassen.

Gesprächsbasis mit FP-Vertretern

Es sollen jedenfalls „Volksprozesse“ mit wirklichen Urteilen sein, wie immer man sich das vorstellen will. Man sehe die Anklage als „emanzipatives Projekt“, erklärte Noll auf Anfrage dunkel. Der Publizist und Buchautor Robert Misik, der dieses Festwochen-Programm organisiert, verspricht immerhin, dass dort keine hetzerische Schauprozess-Stimmung aufkommen soll. Man habe mit FPÖ-Vertretern eine gute Gesprächsbasis, bei den „Zürcher Prozessen“, die Rau in Zürich bereits abgehalten hat, sei die Zeitung „Weltwoche“ wegen Verhetzung angeklagt gewesen, doch freigesprochen worden.

Zum Abschluss des ersten Jahres der Freien Republik soll eine Verfassung beschlossen werden, die ein „konkretes Regelwerk für das Festival der Zukunft“ sein soll. Verlesen wird sie am 23. Juni im „Haus der Republik“, als welches das Volkskundemuseum in der Josefstadt dienen soll. Dieses sowie die dort ansässige Freie Republik arbeiten laut Katalog mit einer Reihe von Vereinen zusammen, darunter die Letzte Generation, Fridays For Future Austria, Extinction Rebellion Wien, Global 2000, Greenpeace, das Klimavolksbegehren usw. usf. Zumindest um die Repräsentation der Klimaschutzaktivisten muss man sich also keine Sorgen machen in dieser Kunstrepublik.

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