„Universum History“

Bordellskandal in Wien um 1900

„Ich hab sie erst zu Menschen gemacht“ – Maria Hofstätter (3. v. l.) als knallharte Bordellbesitzerin Regine Riehl über ihre Sexsklavinnen.
„Ich hab sie erst zu Menschen gemacht“ – Maria Hofstätter (3. v. l.) als knallharte Bordellbesitzerin Regine Riehl über ihre Sexsklavinnen.ORF/Leitner
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Menschenhandel und Prostitution im kaiserlichen Wien: Ein „Universum History“ über die Verlogenheit der Gesellschaft – und die Parallelen zur Gegenwart. Heute im ORF.

Das System funktioniert heute so wie Anfang des vorigen Jahrhunderts: Junge Frauen werden mit falschen Versprechungen aus der Misere ihrer Herkunft weggelockt. Sie flüchten vor Armut, Gewalt, Hoffnungslosigkeit. Menschenhändler schlagen Kapital aus den Träumen von einem besseren Leben, die schnell verpuffen, wenn es darum geht, die immer ­höher werdenden Schulden bei den Fluchthelfern abzuarbeiten. Oder bei einer gierigen Bordellbesitzerin, die ihren Damen alles abknöpft und dann auch noch so tut, als wäre das eine gute Tat.

Regine Riehl war so eine. Die Frau eines Buchhalters betrieb um die Jahrhundertwende ein Bordell in der Grüntorgasse in Wien, wo Männer ihre Triebe auslebten, nur wenige Schritte entfernt von der Berggasse, wo Sigmund Freud ebendiese erforschte. Riehl führte ein strenges Regiment. Sie sperrte die Prostituierten ein, vergitterte die Fenster, nahm ihnen das Straßengewand ab, damit sie nicht flüchten konnten, und ließ sie nur ein Mal pro Woche zwei Stunden lang im Hof spazieren gehen. Sogar das „Strumpfgeld“, das die Freier den Damen zusätzlich zusteckten, nahm sie ihnen ab. Eines der Mädchen wollte das nicht länger hinnehmen: Marie König war erst 16, als sie der prügelnde Vater bei Riehl arbeiten ließ (was er der Unmündigen genehmigen musste und wofür er von der Bordellbesitzerin bezahlt wurde) – sie vertraute sich einem Journalisten an und sagte 1906 mit Leidensgenossinnen vor Gericht gegen Riehl aus.

„Universum History: Aufstand im Bordell“ zitiert aus Gazetten und Gerichtsakten, befragt Expertinnen. Es waren vor allem Frauen aus Osteuropa, die damals von Menschenhändlern in alle Welt verkauft wurden. Aber auch in der damaligen Weltstadt Wien herrschte jede Menge Elend – und oft reichte eine ungewollte Schwangerschaft, um in der Gosse zu landen. Manche Frauen mussten sich für ein Nachtlager auf der Straße prostituieren. Die Riehl brüstete sich vor Gericht: „Ich hab sie erst zu Menschen gemacht.“

Ein Akt der Selbstermächtigung

Schauspielerin Maria Hofstätter, die in den Reenactments als Bordellbesitzerin auftritt, zieht Parallelen zum Heute: „Es ist erschreckend, wie wenig sich geändert hat in den letzten 120 Jahren: Schulden, Sklaverei und Abhängigkeiten, die es Frauen sehr schwer machen, wieder auszusteigen.“ Im Fall des „Salon Riehl“ schaute selbst die Exekutive weg: Die Beamten machten zwar jede Woche Revision – „und was für eine!“, kommentiert eine der Damen vor dem Richter –, fanden aber keinen Grund zur Beanstandung. Doch auch davon ließ sich die couragierte Marie König nicht abschrecken. Sie wird von Alice Prosser dargestellt, die in Marie Kreutzers Film „Corsage“ Anna, die Geliebte des Kaisers, spielt. König bietet Riehl die Stirn und schafft danach den Ausstieg aus der Sexbranche.

Es ist ein Akt der Selbstermächtigung in einer Zeit, in der die Frauen kaum Gehör gefunden haben. Kein Zufall also, dass der ORF „Aufstand im Bordell“ am 5. März (21.05 Uhr, ORF2) und damit kurz vor dem Internationalen Frauentag am 8. März zeigt. Es war das erste Mal, dass Sexarbeiterinnen aus der Opferrolle heraustraten und vor Gericht zogen. Die Wiener Gesellschaft war schockiert: Ein Bordell – in Buenos Aires oder Brasilien, wohin viele der Mädchen gebracht wurden, konnte man sich vorstellen. Aber mitten in einem gutbürgerlichen Wiener Bezirk? Das durfte es doch eigentlich nicht geben. Als hätten es nicht ohnehin alle gewusst. Es sei nicht selten gewesen, sagt Historikerin Yannick Ripa, dass junge Männer ihre ersten sexuellen Erfahrungen in einem „Freuden­haus“ gemacht haben – in Begleitung des Vaters oder des großen Bruders. Die sexuellen Triebe mussten befriedigt werden. Und zwar durch eine Frau, sagt Ripa. Denn selbst Mediziner seien der Überzeugung gewesen: Wenn man es mit dem Masturbieren übertreibt, kann das zum Tod führen.

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