Erziehungswissenschaft

Die Entzauberung der Montessori

Maria Montessori wollte „Kinder einer perfekteren Rasse, einer besseren Menschheit“ hervorbringen, mit deren Hilfe die Welt „gereinigt“ und vor „fortschreitender Degeneration bewahrt werden sollte“.
Maria Montessori wollte „Kinder einer perfekteren Rasse, einer besseren Menschheit“ hervorbringen, mit deren Hilfe die Welt „gereinigt“ und vor „fortschreitender Degeneration bewahrt werden sollte“.Imago / Imago Stock&people
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Salzburger Forscherin macht auf den oft wegretuschierten Schatten einer vermeintlichen Lichtgestalt der Reformpädagogik aufmerksam.

„Ich war und ich bin keine Pädagogin.“ Dieses Zitat von Maria Montessori stellt Sabine Seichter, Erziehungswissenschaftlerin an der Uni Salzburg, ihrer Untersuchung der anthropologischen Gedankenwelt der berühmten italienischen Ärztin und Biologin voran. Die simple Feststellung irritiert spätestens dann nicht mehr, wenn klar wird, welche Absichten die als kinderliebende Erzieherin idealisierte und romantisierte Montessori verfolgte. Sie wollte nicht etwa Vielfalt respektieren oder fördern, sondern den perfekten Menschen hervorbringen. Dieser hatte ästhetisch, moralisch und intellektuell vollkommen sowie körperlich gesund zu sein. Dabei unterteilte sie die Menschen ganz grundsätzlich in „höhere“ und „niedere“ Rassen.

1870 in Italien geboren, war Maria Montessori eine der ersten Frauen, die Medizin studierten. Sie revolutionierte mit ihrem Leitgedanken „Hilf mir, es selbst zu tun“ das Schulwesen, und ihre Methode zur Erziehung von Kindern ist bis heute weltweit populär. Inspiriert wurde sie dazu als Ärztin in Rom, wo sie erlebte, wie körperlich und kognitiv beeinträchtigte Kinder mehr verwahrt denn versorgt wurden. 

Nicht aus Kinderliebe

In ihrer Studie, die vor Kurzem in Buchform erschienen ist, widmet sich Seichter dem 600 Seiten dicken wissenschaftlichen Hauptwerk von Montessori, der „Antropologia pedagogica“ (1910), als geistigen Nährboden für Erziehungsziele und -methoden. Die Forscherin kommt zu dem Schluss, dass das darin vertretene Menschenbild rassistisch und eugenisch durchdrungen ist. Das provozierte nun über die Fachgrenzen hinaus Reaktionen – nicht unbedingt wohlwollende. „Leute aus den Reihen der Anhängerschaft Montessoris werfen mir hoch emotionalisiert vor, dass es sich bei jenen lediglich um einzelne Zitate handle, die man vernachlässigen könne. Dieser Vorwurf ist nicht haltbar“, sagt sie.

Ihre Analyse zeigt, wie die Ärztin den Rassebegriff nutzte, um Menschen zu hierarchisieren, zu stigmatisieren und zu diskriminieren. Mit Kinderliebe oder gar Humanismus hat dieses Denken wenig zu tun. Noch ein Jahr vor ihrem Tod 1952 träumte sie davon, den perfekten Menschen mithilfe biopolitischer Interventionen hervorzubringen.

Seichter stellt klar, dass es nicht ihr Ziel gewesen sei, einen Mythos zu zerstören, sondern sie sich einer wertfreien Aufklärung verpflichtet fühle: „Ich wollte anhand von Montessoris Schriften einen erhellenden Blick auf die scheinbare Lichtgestalt der Reformpädagogik werfen.“ Wie notwendig dieser ist, zeigt die neue Film-Biografie „Maria Montessori“ (Léa Todorov), die diese Aspekte völlig ausblendet.

Sabine Seichter:<strong> „Der lange Schatten Maria Montessoris“</strong> (Beltz-Verlag, 195 Seiten, 30,50 Euro)
Sabine Seichter: „Der lange Schatten Maria Montessoris“ (Beltz-Verlag, 195 Seiten, 30,50 Euro)

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