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„Supersex“ über Rocco Siffredi: Da hat Netflix Porno und Realität verwechselt

Alessandro Borghi spielt Rocco Siffredi, der hier einem Traum nachjagt, der ihn zugleich von seiner Familie entfremdet.
Alessandro Borghi spielt Rocco Siffredi, der hier einem Traum nachjagt, der ihn zugleich von seiner Familie entfremdet.Lucia Iuorio / Netflix
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Die Netflix-Serie „Supersex“ will von den Gefühlen von Italiens größtem Pornostar erzählen. Dabei schafft sie es, aus der Pornografie das Übelste zu übernehmen.

Vierundzwanzig Zentimeter. In der Welt, in der Rocco Tano Karriere gemacht hat, ist das eine nicht unbedeutende Kennzahl. Auch in der Netflix-Serie „Supersex“ spielt diese (offiziell unbestätigte) Dimension eine Rolle. „Rocco hat den längsten Schwanz der Welt!“, schallt es in der ersten Folge durch ein italienisches Dorf. Rocco ist da gerade so alt, dass er halbwegs lesen kann. Kurz zuvor haben ein paar Halbstarke aus der Nachbarschaft ihn einem Piesack-Ritual unterzogen, „Langziehen“ nennen sie es. Aus Traumata eine Superkraft schöpfen, in der Erzählkunst des Films ist das ein beliebtes Manöver. Hier wird suggeriert, dass Rocco durch einen Akt sexueller Gewalt gewissermaßen zu seinem größten Vermögenswert kommt: Es ist die Geschichte des Mannes, der unter dem Namen Rocco Siffredi ab den 1980er Jahren zu Italiens größtem Pornostar wurde. Sein Spitzname: Der italienische Hengst.

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Die italienische Netflix-Produktion „Supersex“ widmet sich nun in sieben Folgen seinem Aufstieg. Die Serie hat vieles, was auf den ersten Blick nach Streaming-Gold aussieht: ein verruchtes Setting, eine ikonische Hauptfigur, ekstatisch anmutende Hochglanz-Bilder und eine Story, die verspricht, tief in die geschundene Seele von Rocco Siffredi hineinzuschauen. Nicht aber in seine Unterhose, so sehr ihr Inhalt auch thematisiert wird: Die Nacktheit von Frauen wird hier explizit ausgestellt, die von Männern nicht – die muss das Publikum anhand von Szenen, in denen die Figuren mit großen Augen auf sein Gemächt schielen, erahnen. Eine auffällige Schieflage – und nicht der einzige Punkt, in dem die Serie ausgerechnet den toxischen Aspekten der Pornografie nachzueifern scheint.

In 1700 Filmen soll der heute 59-jährige Rocco Siffredi mitgespielt haben. Er habe das Genre revolutioniert, wird ihm nachgesagt. Seine Spezialität sind Analsex und harte Spielarten, zugleich drehte er auch Kunstpornos und Arthouse-Filme. Und ist der italienischen Öffentlichkeit auch sonst gut bekannt: nicht zuletzt durch Werbespots, in denen er verschmitzt extra-lange Würstel serviert, als Installateur verkleidet an der Tür klingelt oder Kartoffelchips anpreist, mit dem Kommentar: „Ich hab sie alle probiert, amerikanische, deutsche, niederländische … Ich habe sie alle gegessen, manchmal drei auf einmal.“

„Ficken“, nicht „ficken lassen“

„Supersex“ steigt 2004 ein, als Siffredi (gespielt von Alessandro Borghi, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist) auf einer Porno-Messe seinen Rücktritt ankündigt: Er habe genug. In Rückblenden wird erzählt, wie er überhaupt soweit kam. Wie ihm im Adriastädtchen Ortona in den 70er Jahren ein Erotik-Comicheft namens „Supersex“ in die Hand fällt. Wie sein älterer Bruder Tommaso, sein geliebtes Idol, ihm Macho-Weisheiten in den Kopf setzt, die er fortan wie ein Mantra vor sich hinbetet: Man dürfe sich von der Welt nicht ficken lassen, man muss die Welt ficken!

Sex und Geld scheinen ihm, diesem sommersprossigen Buben aus einer armen Familie, gleichermaßen erstrebenswert, und auch untrennbar miteinander verbunden. Dazu kommen tief frauenfeindliche Ideen: Wie alle jungen Männer himmelt Rocco die Dorfschönheit Lucia an. Sobald sich herausstellt, dass sie die Avancen der Männer auch erwidern, oder gar – Gott behüte! – auch selbst so etwas wie Attraktion verspüren könnte, gilt sie als Hure. Und seine Mutter, die auf verbitterte Art Prüderie predigt, schärft ihm ein: Frauen fressen Männerherzen.

Schwülstige Sager über die „Kraft“ zwischen seinen Beinen

Mit dieser Wertebasis zieht er nach Paris, wo er lernen will, sein inneres „Tier“ freizulassen. In seinen ersten sexuellen Erfahrungen agiert er teils ungelenk, teils gewalttätig. Jetzt ist sein Verlangen entfacht, wie er in schwülstigen Sätzen aus dem Off erklärt: Seine „Kraft“, die zwischen seinen Beinen entspringt, sei „ein rastloser Bulle, der eine Kuh sucht“. In einem Sexklub, der zum Sprungbrett für seine Kamera-Karriere werden soll, findet er dann eine Art erste Erleuchtung: „Ein Mann gehört nicht an die Leine“, mag ihm Tommaso zwar eingeschärft haben, doch als er sich ein funkelndes Halsband anlegen lässt, dräut ihm, dass Sexualität und Männlichkeit vielleicht doch auch anders aussehen könnten, als er dachte. Vielleicht kann man ja doch gleichermaßen „ficken“ und „gefickt werden“?

Aha: Macht die Sex-Industrie diesen Mann etwa zu einem besseren Menschen? Gar zu einem Feministen? Sie habe mit der Serie „Maskulinität und toxische Beziehungen“ untersuchen wollen, sagt die Serienschöpferin Francesca Manieri. Dass „Supersex“, laut Rocco Siffredi immerhin „zu 98 Prozent authentisch“, den Pornodarsteller zu einer Art Vorreiter einer frauenfreundlicheren Porno-Kultur stilisieren könnte, sorgt für Kritik: „Warum verherrlicht Netflix einen Pornostar, der für gewalttätige Szenen gegen Frauen bekannt ist?“, fragt der „Guardian“. Immerhin gehörten erniedrigende und besonders raue Spielarten zu Siffredis Standardrepertoire.

Pornografie ist eine Sache, Sex eine andere – und „Supersex“ verwechselt da etwas

Da wird gewürgt und geschlagen. Das vor der Kamera zu inszenieren, ist eine Sache – und gängige Fantasien in einem fiktiven Setting durchzuspielen, nun einmal das Wesen der Pornografie. Problematisch ist, was „Supersex“ aus Rocco Siffredis angeblicher Hypermaskulinität macht, in den ersten Folgen jedenfalls: Die Serie überträgt die Illusion des spontanen, unvereinbarten Rabiat-Koitus aus der Pornografie ins echte Leben. Und lässt Rocco die Frauen und Männer, die auch ganz privat und unbezahlt in seine Nähe kommen, schneller an die Wand drücken, als sie „Siffredi“ sagen können. Penetration im Eilverfahren: Dass „Supersex“ so etwas als tollen Sex darstellt, zeigt, dass die Serie doch mehr Buben-Porno-Fantasie als authentische Seelenschau ist.

Romantisch sollen da wohl jene Szenen aus Roccos Kindheit wirken, in denen die Kamera Frauen unter den Rock lugt, in verträumten Gegenlicht-Aufnahmen, die eine Art Dolce-Vita-Gefühl versprühen sollen. Wirkliche Erotik kommt hingegen kaum auf. Dafür mäandert die Handlung so langsam dahin und dehnt Roccos sexuelle Erweckung derart aus, dass es fast ermüdend ist. Schneller zum Punkt zu kommen: Das hätte sich die Serie vom Porno ruhig abschauen können.

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