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Elon Musk will radikale Meinungsfreiheit – aber keine harten Fragen

Im Gespräch mit Don Lemon wirkte Elon Musk zunehmend genervt
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Große Wellen hat das Interview schon vorab geschlagen, denn X hat eine geplante Kooperation mit dem Ex-CNN-Moderator Don Lemon platzen lassen. Wie unangenehm sind seine Fragen? Und warum nimmt der Tesla-Chef die Droge Ketamin?

Zwei Dinge fallen an dem Interview von Ex-CNN-Moderator Don Lemon mit Multimilliardär, Tesla- und X/Twitter-Chef Elon Musk auf, vor allem, wenn man es nur hört (wie auf Spotify): Erstens, wie stark Musk stottert. Zweitens, dass er Emotionen unterschätzt. Dabei dürften Gefühle sehr wohl eine Rolle gespielt haben bei der Kontroverse, die dem am Montag veröffentlichten, angespannten Gespräch voranging.

Das Interview hätte den Auftakt bilden sollen für eine Partnerschaft zwischen X und dem Moderator. Dessen „The Don Lemon Show“ sollte erst exklusiv auf X, und dann auf anderen Plattformen wie Spotify und Youtube erscheinen. Doch X, also Musk, sagte die geplante Partnerschaft unmittelbar nach Stattfinden des Interviews ab. Waren die Fragen zu unangenehm, wie Lemon spekulierte? Er sprach etwa das Thema Drogen an, das den Unternehmer schon länger begleitet. Ab und zu würde er Ketamin nehmen, er bekommt es verschrieben, es soll depressive Verstimmungen („chemische Gezeiten“, nannte sie Musk) vertreiben, erzählte der Milliardär hörbar widerwillig. Das sei durchaus im Sinne seiner Aktionäre, die Mengen außerdem gering: „Wenn man zu viel genommen hat, kann man nicht arbeiten, und ich habe eine Menge Arbeit.“

Musk, ein „Free Speech Absolutist“

Ging Lemon hier zu weit? Musk selbst thematisierte in seiner Kritik nicht die Fragen, sondern bemängelte den „Stil von CNN“ – und CNN sei „am Sterben“, wie er meinte. Dieser indirekte Schlagabtausch zwischen Lemon und Musk, bevor der direkte Schlagabtausch veröffentlicht war, fand natürlich auf X statt, der umstrittenen Plattform, die Musk gekauft und völlig umgemodelt hat. Sie war das große Thema, um das sich das Interview den Großteil der Zeit drehte.

Als Motivation für seine Übernahme nannte Musk, dass er auf der Plattform mehr Stimmen aus der Mitte und von Rechts zulassen wollte. Seit er Chef ist, werden kaum noch Tweets gelöscht, auch solche mit rassistischem Inhalt nicht, wie Lemon Musk vorhielt. Einen „Free Speech Absolutist“ nannte sich Musk einmal, hier konkretisierte er seine radikale und radikal simple Sicht von Meinungsfreiheit: Alles, was nicht verboten sei, solle auf X gesagt werden (dürfen). Man könne 100 hasserfüllte Sachen posten, „wenn niemand sie liest, ist es egal“, meinte er. Wovon er gar nichts hält: „Moderation ist nur ein Propaganda-Ausdruck für Zensur“.

Regelt sich der Markt der Meinungen selbst?

Er warf dem Journalisten vor, dass etablierte Medien Fehler nicht korrigieren würden (was nicht stimmt). Wenn er hingegen etwas Falsches auf X poste, würden ihn andere darauf aufmerksam machen. Regelt sich der Markt der Meinungen also ganz einfach selbst? Daran darf man zweifeln. Zwar hat Schwarmintelligenz im Internet etwa Kluges wie Wikipiedia hervorgebracht (die nach strengen Regeln erstellt wird), aber X macht keinen Unterschied, wer etwas postet. Gewichtet werden Tweets vor allem durch Reaktionen. Solche generieren nicht unbedingt Posts mit dem besseren Argument oder der korrekten Antwort, sondern welche, die emotionalisieren.

Die Plattform kann randständige Meinungen in die Mitte der Gesellschaft bringen, und ihnen stärkeres Gewicht geben – auch solche, die die Demokratie infrage stellen. Dabei ist diese doch Grundvoraussetzung dafür, dass Musk seine Vorstellung von Meinungsfreiheit überhaupt realisieren kann. Seine Auslegung dieser Freiheit sabotiert sich selbst. Treppenwitz: Das Interview selbst entspricht genau dieser libertären Vorstellung von Debatte ohne Blatt vorm Mund – aber er unterstützt es nicht.

„Woke“ als „Hirnvirus“

Erstaunlich wenig Empathiefähigkeit zeigte der Milliardär beim Thema Diversität und Inklusion, oder auch „Woke Hirnvirus“, wie Musk das nannte. Er sieht in Bemühungen um mehr Gleichberechtigung die Gefahr einer Nivellierung nach unten – was Lemon unter Hinweis auf Studien nicht gelten lassen wollte.

Immer wieder bezog sich Musk auf die Geschichte, doch wollte er historische Ungerechtigkeiten nicht diskutieren. „Jeder war ein Sklave. Jeder“, sagte er. „Nicht jeder“, wandte Lemon ein, der verständlicherweise irritiert war. „Doch, wir alle stammen von Sklaven ab. Es ist nur eine Frage der Zeit: war es vor kurzem oder ist es länger her?“, so Musk. Aber er wolle nicht über die Vergangenheit reden, sondern über die Zukunft. Gewisse Themen will er abgeschlossen haben. „Wenn wir nonstop darüber reden, geht es nie weg“, glaubt er. Lemon, selbst Afroamerikaner, versuchte Musk, dem weißen Südafrikaner, zu erklären, wie strukturelle Benachteiligung funktioniert. Aber Musk sagte, für ihn zählten einzig „Fähigkeiten und Integrität“ von Menschen. Wie die erworben würden, welche Menschen sie überhaupt erwerben können, ist für ihn offenbar nicht relevant.

»Ich wurde damit geboren. Und hatte eine harte Kindheit.«

Elon Musk

im Interview mit Don Lemon

Richtiggehend genervt wirkte Musk gegen Ende des Interviews. Davor hatte er schon über die US-Wahlen geredet (es war Zufall, dass er Ex-Präsident Donald Trump bei einem Freund getroffen habe; nein, er gebe ihm kein Geld; und nein, er sei kein Fan des amtierenden Präsidenten Joe Biden). Zwei Minuten vor Schluss fragte Lemon ihn noch danach, woher seine „Intensität“ stamme („Ich wurde damit geboren. Und hatte eine harte Kindheit.“). Und Musk durfte seine große Vision darlegen: Er will die Zivilisation voranbringen und multi-planetarisches Leben ermöglichen (nicht ironisch gemeint).

Auf dass irgendwann auch am Mars die Freiheit herrscht, Tweets abgeben zu können, wie jenen, den Elon Musk vor wenigen Stunden gepostet hat: ein Video mit einer Umvolkungsfantasie ohne Quellenangabe von einem dubiosen rassistischen Demokraten-Hass-Account.

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