Interview

„Immer mehr Menschen können es sich leisten, weniger zu arbeiten“

IHS-Chef Holger Bonin mit Jakob Zirm und Jeannine Hierländer (v. l. n. r.) im „Presse“-Studio.
IHS-Chef Holger Bonin mit Jakob Zirm und Jeannine Hierländer (v. l. n. r.) im „Presse“-Studio. Clemens Fabry
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Die Erbschaften steigen, Junge haben einen Verhandlungsvorteil gegenüber Arbeitgebern, erklärt IHS-Direktor Holger Bonin den Zug zur Teilzeit.

Die Presse: Noch im Dezember erwartete das IHS, dass das Wirtschaftswachstum im Frühling zurückkommen würde. Nun soll der Aufschwung erst ab Mitte des Jahres kommen. Warum verschiebt sich die Trendwende konstant nach hinten? 

Holger Bonin: Wir haben eine anhaltende Konjunkturschwäche im Euroraum. Die großen europäischen Volkswirtschaften Deutschland, Italien, Frankreich, aber auch die kleineren Länder wachsen nicht so schnell, wie wir erwartet haben. Die Inflation, die hohen Zinsen und die hohen Energiepreise scheinen sich länger auszuwirken. Aber den Menschen geht es besser, die Realeinkommen steigen. Die Frage ist, wann der anziehende Konsum sich übersetzt und das Wachstum wieder anspringt. Das können wir nicht genau timen. Offensichtlich müssen wir uns ein bisschen gedulden. Aber zur Jahresmitte sollte es besser werden.

Besteht die Gefahr, dass Sie die Prognosen nochmals korrigieren müssen und dass Österreich in die Rezession zurückfällt?

Danach sieht es nicht aus. Wir sehen eine stark sinkende Inflation. Sie nähert sich im Euroraum in den nächsten beiden Jahren der Grenze von zwei Prozent an. Daher ist zu erwarten, dass die Leitzinsen nach unten gehen. Die hohen Zinsen sind sehr belastend für die Baukonjunktur, für die Investitionen. Und es gehen eigentlich alle davon aus, dass die Zinsen in der zweiten Jahreshälfte nach unten kommen. Damit sollten die rezessiven Gefahren gebannt sein.

Ist das aktuell ein konjunktureller Dämpfer, wegen externer Faktoren wie dem Krieg, oder eine strukturelle Wachstumsschwäche?

Primär reden wir über die Konjunktur. Die hohe Inflation, die hohen Zinsen und die hohen Energiepreise sind kurzfristige Faktoren. Aber auch der langfristige Wachstumspfad ist nicht besonders rosig, weder für Österreich noch für Europa. Das hat mit den Verschiebungen der Gewichte in der Weltwirtschaft zu tun. China hat massiv aufgeholt, auch Indien, Länder in Südamerika, und die Amerikaner haben höhere strukturelle Wachstumsraten. Das sind die Dinge, die uns wirklich auf Dauer beschäftigen sollten. Denn da geht es darum, wie sich unser Wohlstand in einer Zeit von gesellschaftlicher Alterung, Energiewende etc. entwickelt. 

Die Inflation in Österreich liegt immer noch deutlich über der Eurozone. Wie groß ist die Gefahr, dass die Zinserhöhungen für uns zu früh kommen und die Inflation wieder ansteigt?

Nicht besonders groß. Das IHS sagt für 2025 eine Inflation von 2,5 Prozent voraus. Das ist deutlich weniger als die aktuell 4,2 Prozent. Bedenklich ist, dass die Inflation langsamer als in anderen Ländern abflaut. Das bedeutet, dass die Preisniveaus langfristig höher bleiben werden. Denn selbst wenn die Inflationsrate auf null fällt, heißt das ja nicht, dass die Preise nicht weiter steigen. Das beeinflusst auch unsere Wettbewerbsfähigkeit, weil die Preissteigerungen sich in die Löhne übersetzen. Daher werden die Lohnstückkosten höher als in Deutschland sein. Der Grund ist, dass in Österreich so viel indexiert ist. Die Löhne sind quasi automatisch an den Verbraucherpreisindex gekoppelt, aber auch Mieten sind indexiert, da ist Österreich eine Ausnahme in Europa.

Braucht es jetzt Lohnzurückhaltung?

Ich würde nicht sagen Lohnzurückhaltung, eher Flexibilität bei der Lohngestaltung. In der letzten Herbstlohnrunde wurden ja auch flexible Spielräume in den Kollektivverträgen eingebaut, Ausstiegsklauseln, die es Unternehmen, die die Lohnsteigerungen nicht tragen können, ermöglichen, weniger als die kollektivvertraglich vereinbarte Erhöhung zu bezahlen. Auch die Laufzeiten wurden verlängert. Diesen Weg sollte man weitergehen.

Sehen wir uns das größere Bild an. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf lag 2023 unter dem Niveau von 2018. Das heißt, Österreichs Wohlstand sinkt und dürfte weiter sinken, wenn das Wachstum stagniert und die Bevölkerung weiter wächst. Wie kann man das umkehren?

Das BIP pro Kopf ist kein besonders scharfes Maß dafür, wie Wohlstand verteilt ist. Österreich hat viele ukrainische Migranten aufgenommen, und es liegt nahe, dass diese Gruppe im Moment nicht zum Wachstum beiträgt, ohne dass es den Österreichern mögli­cherweise schlechter geht. Aber natürlich sehen wir Wohlstandsverluste. Das ist auch nicht überraschend: Wir haben eine veränderte Weltlage seit Corona, Lieferkettenprobleme, den Ukraine-Krieg. Wir werden noch viel größere Herausforderungen durch die Dekarbonisierung bekommen. Das ist nicht zum Nulltarif zu haben und kostet uns wahrscheinlich Einkommen. Wir werden einen großen Erfindergeist, Innovationskraft hervorbringen müssen, um mit diesen Dingen umgehen zu können. Das ist eine richtig große Herausforderung. Jüngere, innovativere Volkswirtschaften wie die in Südasien oder die USA bewältigen das möglicherweise besser als wir. Und das sollte uns zu denken geben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Teilzeitquote. Sie ist erneut gestiegen, vor allem bei Männern. Brauchen die Menschen das Geld nicht, weil sich so viele die Teilzeit leisten können?

So würde ich das nicht sagen. Es ist immer mehr Wohlstand da, wir haben steigende Erbschaften pro Kopf. Durch die Digitalisierung haben junge Menschen einen Verhandlungsvorteil gegenüber den Arbeitgebern, weil sie knapp sind, weil sie Digital Natives sind. Das neben der Tatsache, dass immer mehr Frauen in den Arbeitsmarkt drängen und es nicht schaffen, Familie und Beruf so zu vereinbaren, dass sie mehr als Teilzeit arbeiten können. Und weil es sich in Österreich auch nicht besonders lohnt, von Teilzeit auf Vollzeit zu gehen. Aber es ist richtig, und damit muss man auch leben, dass es zunehmend gut ausgebildete junge Menschen gibt, die es sich leisten können, weniger zu arbeiten. Da helfen auch Sprüche wie „Leistung muss sich wieder lohnen“ nicht, weil die sich das leisten können. Aber es gibt weiter auch die weniger Gebildeten, die nichts erben und diese Option nicht haben.

Eine Ihrer ersten Ansagen war, dass man das gesetzliche Pensionsantrittsalter anheben sollte. Haben Sie die Hoffnung, dass im nächsten Regierungsprogramm eine Pensionsreform steht?

Sie sollte im Regierungsprogramm stehen. Wir werden in den nächsten Jahren hohe Ausgaben haben, nicht nur bei den Pensionen, auch für Gesundheit, die Haushaltsspielräume werden immer kleiner werden. Und je länger ich mit so einer Reform warte, umso mehr muss ich später tun. Irgendwann wird man es nicht mehr verhindern können. Deshalb kann man nur in Richtung Politik sagen: Versucht nicht, dieses Problem in die Zukunft zu schieben, auch wenn es nicht populär ist. Ihr könnt die Demografie nicht aufhalten. Und entsprechend muss man Lösungen anbieten. In den nächsten vier Jahren wird das Budgetloch so groß werden, dass man darangehen muss.

»Natürlich sehen wir Wohlstands­verluste. Das ist auch nicht überraschend. «

IHS-Direktor Holger Bonin

Zur Person

Holger Bonin (*1968) ist seit Juli 2023 Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien. Davor war er Forschungsdirektor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn und lehrte Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik an der Universität Kassel. Das ganze Interview als Video können Sie mit dem QR-Code aufrufen:

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