Anschlag

Gegenseitige Schuldzuweisungen nach Horror in einer Moskauer Konzerthalle

Die Terroristen hatten in der Crocus City Hall in Krasnogorsk nahe Moskau Feuer gelegt.
Die Terroristen hatten in der Crocus City Hall in Krasnogorsk nahe Moskau Feuer gelegt. Imago / Maksim Blinov
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Nach dem Anschlag in einem Veranstaltungszentrum nahe Moskau, bei dem Dutzende Menschen starben, vermelden russische Behörden die Festnahme der Angreifer. Sie sollen in Moskau verhört werden. Der Kreml versucht, Kiew für das Attentat verantwortlich zu machen. Die USA sagen: Der Islamische Staat sei alleinverantwortlich.

Von der mehrstöckigen Veranstaltungshalle steht nur noch ein Gerippe. Die Glasscheiben der Crocus City Hall in Krasnogorsk am Rande von Moskau sind geborsten, das Dach ist eingestürzt. Noch immer steigt Rauch aus den Schuttbergen auf. Die Luft muss schwer sein vom Feuer und den Explosionen der vergangenen Nacht. Der Schock sitzt tief in Moskau. Mit einem nationalen Trauertag gedenkt am Sonntag das ganze Land an die Opfer.

Blumen für die Opfer am Trauertag.
Blumen für die Opfer am Trauertag.Reuters / Maxim Shemetov

Dutzende Menschen starben am Freitagabend, nachdem Terroristen in Tarnanzügen und mit automatischen Waffen um 19.40 Uhr in das Gebäude eingedrungen waren. Im Foyer schossen die mindestens vier Angreifer wahllos auf Passanten, dann drangen sie in die Konzerthalle vor. Dort sollte der Auftritt der Rockband Piknik aus St. Petersburg beginnen. Laut Behörden befanden sich etwa 6000 Menschen entweder bereits im Gebäude oder davor. „Es war vor Beginn des Konzerts“, erzählt eine Frau namens Olga einer russischen Onlinezeitung. „Wir hörten Geräusche, die wie Feuerwerkskörper klangen. Erst später verstand ich, dass es Schüsse waren. Dann kamen Mitarbeiter der Crocus-Halle angelaufen und scheuchten alle Richtung Bühne und Notausgang.“

Islamischer Staat veröffentlicht Video des Anschlags

Mindestens 133 Menschen starben entweder durch Schüsse oder durch das Feuer, dass die Angreifer legten. Augenzeugen berichteten, dass die Männer eine Flüssigkeit auf Sitzen und Vorhängen verteilten und anzündeten. Viele der bei dem Anschlag 152 Verletzten seien weiter in kritischer Verfassung, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur TASS Sonntag früh unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium für die Region Moskau. Unter den Verletzten sind demnach auch fünf Kinder. International wurde der Anschlag scharf verurteilt.

Ein Bekennerschreiben tauchte noch in der Nacht auf Samstag auf: Die radikale Miliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich. Der Terrorangriff stehe im Zusammenhang mit dem „tobenden Krieg“ zwischen dem Islamischen Staat und den Ländern, die den Islam bekämpften, teilt die Nachrichtenagentur Amak, das Sprachrohr der IS-Miliz, auf dem Kurznachrichtendienst Telegram mit. In der Nacht auf Sonntag veröffentlichte die Terrormiliz auf ihren Telegram-Kanälen zudem Szenen des Anschlags. Das einminütige und 31 Sekunden lange Video zeigt eine Nahaufnahme eines der Schützen, als er das Feuer auf mehrere Menschen in einer scheinbar großen Konzerthalle eröffnet.

Terrorismusexperte hält Bekennerschreiben für authentisch

Der renommierte Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King’s College hält das Bekennerschreiben für authentisch. Auf der Onlineplattform X schreibt er, dass er davon ausgehe, dass der IS-Ableger „Provinz Khorasan“ hinter dem Anschlag stehe. Die russischen Behörden hätten elf Tatverdächtige festgenommen, darunter die vier Angreifer, die flüchten konnten.

Sie wurden am Samstagabend zum Verhör in die russische Hauptstadt gebracht. Ihnen drohen lebenslange Haftstrafen. Videoaufnahmen sollen zeigen, dass es bei der Festnahme der Verdächtigen auch zu Folter gekommen soll. So zeigt ein in Russland verbreitetes Video etwa, wie einem Mann ein Ohr abgeschnitten wurde. Unabhängig waren die Aufnahmen zunächst nicht zu überprüfen.

Alle Attentäter sind Tadschiken, „genau das Land also, wo der IS-Ableger ISPK so stark rekrutiert“, so Neumann. Die USA und andere westliche Länder haben erst kürzlich vor möglichen Anschlägen gewarnt, der russische Präsident Wladimir Putin hatte diese Warnungen jedoch als westliche Provokation bezeichnet.

Menschen stellen sich vor der Konzerthalle in Moskau, in der der Terroranschlag stattfand, zum Gedenken an die Opfer an.
Menschen stellen sich vor der Konzerthalle in Moskau, in der der Terroranschlag stattfand, zum Gedenken an die Opfer an.Reuters / Maxim Shemetov

Putin beschuldigt Kiew

Von Putin war zunächst keine Stellungnahme zu hören. Er sei „informiert“ worden und wünschte den Verletzten baldige Genesung, hieß es am Samstagvormittag. Erst 19 Stunden nach dem Anschlag meldete er sich in einer TV-Ansprache zu Wort. Flankiert von russischen Flaggen sprach er von einem „barbarischen Terrorakt“ für den alle Beteiligten „gerecht und unausweichlich bestraft werden. Wer auch immer sie sind, wer auch immer sie anführt“.

Putin bestätigte die Verhaftung der vier Attentäter aus der Crocus City Hall – und zog eine Verbindung zur Ukraine. Zuvor hatte schon der Inlandsgeheimdienst FSB davon gesprochen, dass die Angreifer in einem weißen Renault aus Moskau Richtung Ukraine flüchten wollten. Auf der ukrainischen Seite hätten sie über Kontakte verfügt. Belege für eine Verbindung in die Ukraine wurden jedoch nicht präsentiert. Es wird befürchtet, Moskau könnte den Anschlag als Vorwand für eine Eskalation des Ukraine-Kriegs heranziehen.

Selenskij: „Absolut vorhersehbar“, dass Putin Verantwortung abwälzt

Nach Einschätzung der USA trägt der IS die alleinige Verantwortung für den Anschlag. Es habe keine ukrainische Beteiligung gegeben, sagt die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Adrienne Watson. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenksij war Putin vor, die Verantwortung abwälzen zu wollen. In seiner täglichen Videoansprache sagte er, es sei „absolut vorhersehbar“ gewesen, dass Putin 24 Stunden lang geschwiegen habe, bevor er den Amoklauf mit der Ukraine in Verbindung gebracht habe.

Fake-Vidoes in russischen TV-Sendern

Kreml-treue Medien waren schnell mit Anschuldigungen: Der TV-Sender NTV verbreitete ein gefälschtes Video mit gefälschten Beweisen dafür, dass Kiew hinter dem Anschlag stecke. Auch russische Duma-Abgeordnete spekulierten, dass die einzige Nutznießerin eines Terroraktes die Ukraine sei, und fordern entsprechende Antworten in den Kriegsgebieten. Kiew wies die Vorwürfe als absurd zurück. Doch auch in der Ukraine wurde gemutmaßt: Moskau habe den Anschlag vielleicht selbst inszeniert, um die kriegsmüde Bevölkerung gegen die Ukraine aufzuwiegeln.

Nationaler Trauertag am Sonntag

Der Sonntag war in Russland zum nationalen Trauertag ausgerufen worden. Auf den größten Leuchtreklametafeln der russischen Hauptstadt war eine brennende Kerze vor dunklem Hintergrund zu sehen. Außerdem standen dort das Datum des Anschlags, der 22. März, und der Schriftzug „Wir trauern“.

Beobachter sprachen von einer gedrückten Stimmung in der Millionenstadt, der Terror sei überall Thema. Große Museen, Theater und Kinos waren geschlossen, Großveranstaltungen abgesagt. Szenen der Trauer gab es auch in Russlands nördlicher Metropole St. Petersburg und in anderen Städten. Im Ausland schlossen sich Serbien und Nicaragua mit eigenen Trauertagen dem Gedenken an.

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