Kabarett

Christina Kiesler: Die Welt ist eine Wuchtel

Mit ihren starken Muskeln umarmt sie das Patriarchat, bis es keine Luft mehr kriegt.
Mit ihren starken Muskeln umarmt sie das Patriarchat, bis es keine Luft mehr kriegt.Andrea Hausmann
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Fulminanter Körpereinsatz und fein gestreute Flachwitze. So erobert Christina Kiesler das Publikum. Aus der Sicht einer Fußballerin serviert sie im ersten Solokabarett „Nachspielzeit“ herrliche Kritik am System unserer Gesellschaft.

Sie ist im echten Leben Fußballerin. Da wäre im Kabarett ein Witz mit der „Wuchtel“ aufgelegt. Doch Christina Kiesler nimmt den Steilpass bei der Premiere im Theater am Alsergrund am 20. März nicht an. In ihrem ersten Soloprogramm verteilt sie gut platzierte Flachwitze, aber wird nicht niveaulos tief. Dass Frauenfußball kein Schmäh ist, wissen österreichische Fans sowieso, seit das ÖFB-Frauenteam größere Erfolge feiert als die Herren.

Christina Kiesler nutzt in ihrem Kabarett den Fußballsport für Vergleiche mit unserer Gesellschaft: Die Lacher ergeben sich mit jedem Treffer, wenn Kiesler die miesen Zustände unseres Systems aufblattelt. Gegner ihrer Partie in Attnang-Puchheim ist in der Show der SK Pital (sprich „S Kapital“), wodurch der erste Angriff gegen den Kapitalismus geht („starke rechte Seite, unfair im Zweikampf“).

Der Fangesang schmeichelt ihr

Die nächste Attacke trifft die Politik. „Nichts tun und trotzdem eine Position haben? Das ist typisch ÖVP, äh ich mein: ÖFB!“ Weiter geht es gegen das Patriarchat, das als hartnäckigster Gegner von Anfang bis Ende im Stück vorkommt. Auch das häufigste Klischee über Frauenfußball spricht Kiesler gleich an: „Ja, i bin a Warme.“ Bei schlimmen Fangesängen fühlt sie sich daher geehrt, wenn sie hört „Christiiina Kiiiesler ist homosexuell …!“

Die Premiere im Theater am Alsergrund war ausverkauft.
Die Premiere im Theater am Alsergrund war ausverkauft.privat

Auch im Berufsleben würde sie sich gern hochschlafen: „Aber es gibt so wenige Frauen in Führungspositionen.“ In all ihren Szenen springt Kieslers Energie aufs Publikum über. Ihre Schauspielkunst macht den Abend zu einem Genuss. Was andere im Duo machen, schafft die 31-Jährige ganz allein: Figuren zu spielen, die unsere Gesellschaft herrlich abbilden. Wie jene Szene eines Spieleabends mit Ü30-Frauen, bei dem nicht die Spiele enden, sondern eine Beziehung.

»Ich werd’ lieber auf meinen Bizeps reduziert als auf meine Brüste. Meine Arme sind so stark vom Wegräumen der Steine im Weg des Patriarchats.«

Christina Kiesler

in „Nachspielzeit“

Der fulminante Körpereinsatz überrascht nicht nur bei den unterschiedlichen Charakteren, sondern auch beim Umgang mit ihrem persönlichen Leib auf der Bühne. Vom Vulva-Gipsabdruck bis zu knapp bekleideter Sportgymnastik: „Ich werd’ lieber auf meinen Bizeps reduziert als auf meine Brüste. Meine Arme sind so stark vom Tragen der Lasten des Lebens und vom Wegräumen der Steine im Weg des Patriarchats.“

Hat Jesus Cross-Fit-Training gegründet?

Und weil Kiesler aus dem ländlichen Niederösterreich stammt, bekommt auch die katholische Kirche ihr Fett weg. Dass Cross-Fit-Training vielleicht von Jesus am Kreuz gegründet wurde oder Kiesler im Fitnesscenter mehr schwitzt als „Jesus beim Schweißtuch von der Vroni“ und Pontius bestimmt Pilates macht, sind nur einige der Spitzen gegen Rom. Oder: „Druck abbauen kann ich am besten beim Prokrastinieren und beim Masturbieren. Katholisch geprägt genier ich mich für beides gleichermaßen.“

»Ich bin eine People Pleaserin: Ich bin so freundlich, ich gendere sogar dieses englische Wort!«

Trotz aller Provokation bleibt Kiesler eine „People Pleaserin: Ich bin so freundlich, ich gendere sogar dieses englische Wort!“ Dabei stellt sie auch die großen Fragen des Lebens: „Kinder: ja, nein? Thermomix: ja, nein? Eigentumswohnung: Ja, bist du deppert?!“

Andere Stars des Abends sind bei Kiesler Gerda Rogers, Benno Berghammer als bayrischer Flaschengeist und „The Climate Change“ als Halbzeitshow. „Alles, was ich bin, hab’ ich nur euch zu verdanken!“, ruft Letzterer ins Publikum.

Und wenn Kiesler dann das Patriarchat umarmt, bis es keine Luft mehr kriegt, und Gemeinsamkeiten von Kirche, Fußballplatz, Filmset und AMS findet, weiß man: Dieses Debüt ist ein Volltreffer – mit berührenden Momenten und hoch geschossenen Wuchteln.

Termine

Die nächsten Auftritte sind

am 26. 4. 2024 im Theater am Alsergrund
am 5. 6. 2024 im Theater am Alsergrund

Mehr auf www.christinathekiesler.at

2022 war Christina Kiesler bei der ORF-Comedy Challenge dabei. Gewonnen hat am 18. 11. 2022 Manuel Thalhammer.

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