Gastkommentar

Wenn die Politik die Wissenschaft schroff ignoriert

Nicht erst seit der Coronapandemie werden in Österreich fachliche oder wissenschaftliche Autoritäten massiv infrage gestellt.

Seit einiger Zeit wird in Österreich wie auch anderswo über die grassierende Wissenschaftsfeindlichkeit diskutiert. Bundesminister Martin Polaschek hat nun eine Kampagne gestartet, nämlich „DNAustria“, die aufzeigen soll, dass „Wissenschaft und Demokratie Teil unserer DNA“ seien. Schauen wir einmal näher hin, wie’s um diese DNA bestellt ist.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Speziell seit der Pandemie wurden ja fachliche oder wissenschaftliche Autoritäten massiv infrage gestellt – besonders im Streit um die Impfungen, die als Eingriff in die „Freiheit“ der körperlichen Integrität bekämpft wurden. Dieser mit extremer Feindseligkeit ausgetragene Streit wurde von der FPÖ befeuert und von rechtsextremen Gruppen mitgetragen. Dabei vermittelten die gegen den Staat und das „System“ gerichteten Kampagnen den Eindruck, dass die medizinische Forschung weltweit von korrupten Gaunern und Marionetten der Pharmaindustrie betrieben werde.

Die Folgen waren insofern weitreichend und fatal, als dieses Misstrauen auch auf andere Fachgebiete hin generalisiert wurde. Schnell war beispielsweise auch der Weltklimarat nicht eine Vereinigung hochrangiger Expertinnen und Experten, sondern eine Ansammlung verdächtiger Scharfmacher, die mit ihren Warnungen nur selbst Geld verdienen wollen.

Kampfplatz Bildungspolitik

Wie steht es aber mit unserer wissenschaftsfreundlichen „DNA“, wenn wir über die aktuellen Krisenthemen hinausschauen? Da bemerkt man rasch, dass es damit auch in Polascheks eigener Partei und auch in der FPÖ schon länger nicht weit her ist. Immer dann nämlich, wenn die Ergebnisse nicht zur eigenen politischen Programmatik oder Ideologie passen, scheint diese DNA auszusetzen, wobei besonders die Bildungspolitik ein Gebiet ist, bei der Fachexpertisen schon jahrzehntelang missachtet werden.

Serienweise wurden empirisch gesicherte Empfehlungen einfach ignoriert oder diffamiert. So meinte etwa Jörg Haider-„selig“ vor Jahren einmal in einer Fernsehdiskussion zu dem in Klagenfurt lehrenden Pädagogen Professor Peter Gstettner, dessen bildungspolitische Konzepte ihm nicht passten: „Sie sogenannter Herr Professor Sie!“ Das sagt eigentlich alles.

Seit Jahrzehnten weiß man Bescheid über die Ungerechtigkeit und pädagogische Unzulänglichkeit von Ziffernnoten. Trotzdem erneuerte Kanzler Karl Nehammer kürzlich die „Treue“ zur Ziffernnote, derentwegen wir jedoch um die Zeugnistermine herum sogar „Krisentelefone“ einrichten müssen, damit Schülerinnen und Schüler wegen schlechter Noten sich nichts antun.

Diskreditierte Gesamtschule

Oder das Thema Ganztagsschule, von der ÖVP „originellerweise“ als „Zwangstagschule“ diskreditiert: Was als Hilfe für Kinder mit wenig elterlicher Lernunterstützung gedacht ist und in zahlreichen Studien als erfolgreich ausgewiesen wurde, wird ebenso ignoriert wie der Umstand, dass überall dort, wo solche Schultypen entstanden sind, niemand mehr davon weg möchte.

Mich selbst hat in meiner Vorarlberger Zeit die damalige Bregenzer ÖVP-Stadträtin und spätere Bildungsministerin, Elisabeth Gehrer, einmal trotz pädagogischer Empfehlungen wegen meines Einsatzes für die Fünftagewoche an Volksschulen der „Kinderfeindlichkeit“ bezichtigt, weil die Reduktion auf fünf Schultage die Kinder furchtbar überlaste. Wenigstens danach kräht heute kein konservativer Hahn mehr. Das böseste Machwerk pädagogischer Wissenschaft freilich ist die Gesamtschule, sozusagen eine sozialistische Gleichmacherei zum Nachteil der Bürgerkinder. Zwar ist europaweit längst bewiesen, dass solche Modelle die Bildungsressourcen quer durch die Gesellschaft besser nutzen. Aber konservative Politiker behaupten dennoch, dass dies das Leis­tungs­ni­veau durch Kinder aus bil­dungs­fer­nen Schichten gefährden wür­de.

Einzelbeispiele von Unzufriedenen werden herangezogen, wobei manche Gesamtschule durchaus Mängel haben mag – wie auch manche Gymnasien. Dabei geht es hier um ein grundlegend anderes System schulischer Chancengerechtigkeit.

In anderen Bereichen hat man den Eindruck, dass Forschungsergebnisse genau dann missachtet werden, wenn sie dem Wirtschaftswachstumsfetisch widersprechen – so etwa die völlige Ignoranz jener ökonomischen Ansätze, die wie die Klimaforschung ein Null- oder sogar Minus-Wachstum fordern! Oder wie jüngst Finanzminister Magnus Brunner die von Fachleuten dringend geforderte Einschränkung der Bodenversiegelung ablehnte, weil sie eine „Bremse für den Wirtschaftsstandort“ sei.

Lang geübte Praxis

Die „Schwurbelei“ gegen wissenschaftliche Erkenntnisse ist also kein Kind der Coronapandemie. Wissenschaftsfeindlichkeit ist eine lang und breit ausgeübte politische Praxis, die den eigenen weltanschaulichen Annahmen den Vorzug vor faktenbasierter Forschung einräumt. In der gegenwärtigen Bildungspolitik und der Umweltpolitik ist dies umso tragischer, als die negativen Folgen für die nächsten Generationen nachhaltig sein werden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Univ.-Prof. Josef Christian Aigner (geboren 1953) hat in Salzburg (bei Igor A. Caruso) pro­mo­viert und ist Psychoanalytiker, Psychotherapeut und Bildungswissenschaftler, ehemals Universität Innsbruck. Zahlreiche Veröffentlichungen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.