Morgenglosse

Migration: Wahlkampf in der Sackgasse

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker
ÖVP-Generalsekretär Christian StockerAPA / APA / Helmut Fohringer
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Es ist nachvollziehbar, dass die unkontrollierte Migration den Wahlkampf prägt. Dass die harte Rhetorik dabei mitunter schwierig mit den Fakten in Einklang zu bringen ist, wurde diese Woche einmal mehr belegt.  

Es mag nur ein Satz in der Pressekonferenz eines Parteimanagers gewesen sein, aber er legte wohl unfreiwillig ein zentrales Dilemma zeitgenössischer Innenpolitik offen. So sprach Christian Stocker, Generalsekretär der ÖVP, bei einer Pressekonferenz zum Thema Migration: „Wer unsere Lebensweise ablehnt, muss nicht bei uns bleiben - es steht ihm frei, zu gehen.“ Irgendwie im Eifer des Wahlspruch-Gefechts herausgerutscht dürfte ihm das nicht sein, auf ihren Online-Kanälen wiederholte die ÖVP diesen Slogan nämlich gleich mehrfach. Auf der Facebook-Seite der ÖVP hieß es etwa: „Wer unsere Art zu leben ablehnt, dem steht es frei, zu gehen.“

Allerhand! Man könnte jetzt natürlich fragen: Na, was denn sonst? In Österreich steht es grundsätzlich jedem frei, irgendwohin zu gehen, wir sind ja gottlob ein freies Land. Was sagt uns der Slogan also? Am ehesten wohl, dass es selbst im politischen Marketing zunehmend schwierig wird, harte Migrationsansagen zu tätigen, um nicht vollends mit der Realität zu kollidieren.

Leicht ist das nämlich nicht, Belege dafür werden zuhauf geliefert. Allein schon dadurch, dass in Österreich zwar ein parteiübergreifender Wettbewerb um die härtesten Asylansagen herrscht, aber seit Jahren kaum wo mehr Asylanträge im Verhältnis zur Einwohnerzahl gestellt werden. Erst unlängst wurde von der Regierung das „Jahr der Abschiebung“ begangen - obwohl man gar nicht in die Herkunftsländer an der Spitze der heimischen Asylstatistik, Syrien und Afghanistan, abschieben kann.

Nicht falsch verstehen: Das Ansinnen Stockers und der ÖVP mag absolut redlich sein. Es ist nachvollziehbar, Migration groß zu thematisieren. Und zwar nicht nur aus taktischen Gründen, um der FPÖ irgendwie beizukommen (für Herbert Kickl mag Corona ein großes Erweiterungsprogramm gewesen sein, wesentliche Triebfeder des blauen Erfolgslaufs ist sämtlichen Wahlmotiven zufolge aber immer noch die Migration). Man kann es der ÖVP nämlich durchaus abnehmen, dass ihr die „Leitkultur“ eines „christlich-jüdisch“ geprägten Landes wichtig ist und sie nun angesichts einer anstehenden Welle an Familienzusammenführungen „Grenzen“ im Bildungssystem erreicht sieht. Genauso kann man der Integrationsministerin glauben, dass sie es wirklich so meint, wenn sie „das Verweilen von Flüchtlingen im Sozialhilfe-System“ kritisiert und „rasche Arbeitsmarktintegration“ fordert.

Die Realität ist nur leider, dass laut aktueller Statistik des Integrationsfonds auch sechs Jahre nach der Flucht gerade einmal die Hälfte der 2015 gekommenen Flüchtlinge erwerbstätig war, bei den 2019 Geflohenen waren es nach zwei Jahren 16 Prozent. Auch die FPÖ ist in all dem nicht zwingend glaubwürdiger: Den „Asylstopp“, den Herbert Kickl landauf landab propagiert, hat es unter ihm als Innenminister nämlich auch nicht gegeben. Realpolitisch stößt also selbst der radikalste Politiker beim Thema Asyl auf nationaler Ebene an die Grenzen des Machbaren.

Was am Ende immer noch geht, ist der Versuch der verbalen Zuspitzung. Kurzum: Stockers Doktrin, dass jeder gehen kann, der will, wird wohl nicht der letzte nichtssagende Asyl-Slogan dieses Wahlkampfes sein.

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