Nahost

(Teil-)Rückzug aus dem Süden: Israel „weit davon entfernt“, Gaza-Militäraktion zu beenden

Journalisten filmen von einem beschädigten Gebäude aus das zerstörte Gebäude des al-Salam-Krankenhauses in Khan Younis am 7. April 2024, nachdem Israel Bodentruppen aus dem südlichen Gazastreifen abgezogen hat, sechs Monate nach dem Beginn des verheerenden Krieges, der durch die Angriffe vom 7. Oktober ausgelöst wurde. 
Journalisten filmen von einem beschädigten Gebäude aus das zerstörte Gebäude des al-Salam-Krankenhauses in Khan Younis am 7. April 2024, nachdem Israel Bodentruppen aus dem südlichen Gazastreifen abgezogen hat, sechs Monate nach dem Beginn des verheerenden Krieges, der durch die Angriffe vom 7. Oktober ausgelöst wurde. APA/AFP
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Der Abzug zweier israelischer Brigaden aus dem Süden des Gazastreifens lässt Raum für Spekulationen. Israel bereitet sich an anderen Fronten auf eine neue Eskalation vor – und hat auch im Norden bereits Anfang des Jahres die Strategie gewechselt. Das könnte nun ebenfalls im Süden geschehen – auch um die Soldaten zu entlasten.

Die Meldung kam für manche überraschend – und ließ einiges an Interpretationsspielraum offen. Israel hat nach eigenen Angaben vom Sonntag viele seiner Soldaten aus dem Süden des Gazastreifens abgezogen. Es ist allerdings kein kompletter Rückzug. Eine Brigade bleibe in der Region, sagte ein Militärsprecher am Sonntag. Eine Brigade, das sind immerhin einige Tausend Soldaten.

Auch der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte (IDF) betonte, das Militär sei „weit davon entfernt“, seine Operationen im Gazastreifen einzustellen.

Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte, der Rückzug geschehe mit Blick auf künftige Einsätze – und heizte Spekulationen an. Denn: Ob damit die von Israel wiederholt angekündigte Offensive in der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten gemeint war, in der sich etwa 1,2 Millionen Menschen befinden, blieb unklar. Es gibt mehrere Faktoren, die Israel dazu gebracht haben könnten, die Truppen im Süden zu reduzieren.

1) Soldaten entlasten

Israel hat die Zahl der Soldaten im Gazastreifen bereits seit Anfang des Jahres reduziert, um Reservisten zu entlasten. Auch die USA vermuten in dem Abzug großer Teile der israelischen Truppen aus dem Süden des Gazastreifens eher kein Manöver zur Vorbereitung einer neuen Offensive. Die Reduzierung der Truppenstärke scheine der Erholung und Neugruppierung der Soldaten zu dienen, sagt der Sprecher für nationale Sicherheit in der US-Regierung, John Kirby, dem Sender ABC News.

Armeesprecher Daniel Hagari hatte Anfang Jänner erklärt: „Die Ziele des Krieges erfordern einen längeren Kampf, und wir bereiten uns entsprechend vor.“ Und weiter: „Wir passen unsere Art der Kriegsführung und die erforderlichen Kräfte für jedes Gebiet im Gazastreifen an, um den Auftrag bestmöglich zu erfüllen, da jedes Gebiet andere Merkmale und andere operative Notwendigkeiten hat.“

2) Laufende Verhandlungen

Der Rückzug erfolgt zu einem Zeitpunkt, da sich Ägypten – neben Katar und den USA Vermittler in dem Krieg – auf neue Gespräche vorbereitet. Diese müssen laut Israel die Aushandlung einer Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln zum Ziel haben. Die radikalislamische Hamas fordert indes, ein Abkommen müsse ein Ende des Krieges und den Abzug der Israelis beinhalten.

In die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung von Hamas-Geiseln kommt zuletzt offenbar Bewegung. Bei den Gesprächen in Kairo seien bei mehreren strittigen Punkten des zur Diskussion stehenden Abkommens „bedeutende Fortschritte“ erzielt worden, berichtete am Montag der staatsnahe ägyptische Fernsehsender Al-Kahera News unter Berufung auf einen ranghohen Vertreter Ägyptens. Die Delegationen haben Kairo bereits wieder verlassen, um Details zu klären. Die Beratungen sollen aber noch innerhalb der ersten Wochenhälfte fortgesetzt werden, hieß es in dem Bericht weiter.

3) Vorbereitung auf eine Militäraktion in Rafah

Israel hat mehrmals erklärt, ein Einmarsch in das Gebiet von Rafah nahe der ägyptischen Grenze sei notwendig, um die Hamas auszuschalten. „Die Truppen verlassen den Gazastreifen und bereiten sich auf ihre nächsten Einsätze vor. Wir haben Beispiele für solche Einsätze bei der Shifa-Operation gesehen und auch für ihren kommenden Einsatz in der Gegend von Rafah“, sagt Gallant nach Angaben seines Büros bei einem Treffen mit Militärs. Israel könnte in Rafah also möglicherweise nur kleinräumigere, auf einzelne Viertel begrenzte Einsätze von Bodentruppen planen. Eine groß angelegte Offensive scheint beim derzeitigen Druck auf Israel angesichts der humanitären Lage schwer vorstellbar (siehe Punkt 5).

So sah die Lage noch bis zum Wochenende in etwa im Gazastreifen aus:

4) Vorbereitung auf einen iranischen Vergeltungsschlag

Verteidigungsminister Gallant erklärte am Sonntag auch, sein Land sei für alle Entwicklungen im Umgang mit dem Iran gerüstet. Die Islamische Republik hatte zuvor erneut mit Vergeltung für einen Israel zugeschriebenen Angriff auf ein Konsulargebäude ihrer Botschaft in Syrien gedroht und erklärt, keine der israelischen Botschaften sei mehr sicher. Gallant sagte seinem Ministerium zufolge nach dem Gespräch mit Offizieren, die Vorbereitungen auf jedwedes Szenario, das sich mit dem Iran ergeben könnte, seien abgeschlossen. Israel hat sich nicht zu dem Angriff in Damaskus bekannt. Die israelische Führung hat aber ganz allgemein erklärt, sie gehe gegen den Iran vor, der die Hisbollah-Miliz im Libanon und die radikale Hamas im Gazastreifen unterstütze.

Das israelische Militär teilte am Sonntag außerdem mit, es habe eine weitere Phase der Vorbereitung auf einen möglichen Krieg im Norden an den Grenzen mit dem Libanon und Syrien abgeschlossen. Dabei sei es um Voraussetzungen für eine breite Mobilisierung von Soldaten gegangen. Die Pressemitteilung der Armeeführung hat den Titel „Bereitschaft für den Übergang von der Verteidigung zur Offensive“.

5) Druck aus den USA

Israel und sein finanzstärkster Unterstützer, die USA, geraten zuletzt immer mehr in Streit über das richtige Vorgehen im Gazastreifen. Ein intensiveres Vorgehen Israels in Rafah könne etwa zu inakzeptablen Verlusten unter den Zivilisten führen. Die Lage für die Menschen in Rafah ist schon jetzt überaus schwierig. Es fehlt an Nahrung, Medikamenten und Unterkünften. US-Präsident Joe Biden hat die Staats- und Regierungschefs Ägyptens und Katars gedrängt, die Hamas zu einem Waffenstillstand und einem Geiselabkommen zu bewegen, bevor eine neue Gesprächsrunde in Kairo beginnt.

Biden hatte am vergangenen Donnerstag mit Israels Premierminister, Benjamin Netanjahu, telefoniert. Nach Angaben des Weißen Hauses forderte Biden ihn in dem Gespräch auf, eine Reihe „spezifischer, konkreter und messbarer Schritte“ zu unternehmen, um das Leid für die Menschen in Gaza zu verringern und den Schutz von Helfern zu erhöhen. Die Debatte war nach dem Tod mehrere NGO-Mitarbeiter durch israelischen Beschuss einmal mehr intensiviert worden. (APA/Reuters/ag.)

Erst Terror, dann sechs Monate Krieg

Die Hamas hatte Israel am 7. Oktober vom Gazastreifen aus angegriffen, rund 1200 Menschen getötet und mehr als 250 Geiseln in den Küstenstreifen entführt. Seit Beginn der darauf folgenden Offensive Israels, die den Angaben zufolge die Vernichtung der Hamas zum Ziel hat, wurden nach palästinensischen Angaben mehr als 33.100 Palästinenser getötet und knapp 76.000 verletzt. Nach früheren Angaben Israels sind unter den Toten mindestens 13.000 Hamas-Kämpfer. Etwa 130 Geiseln werden von der Hamas noch immer im Gazastreifen festgehalten.

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