Amanshausers Allbum

Was reizt an der Mischung von Verfall und Luxus?

Bewohnt, unbewohnt, Abbruchhaus? Darf man da rein? Nein, man darf nicht. Aber manche Lost-Places-Fans machen das trotzdem.
Bewohnt, unbewohnt, Abbruchhaus? Darf man da rein? Nein, man darf nicht. Aber manche Lost-Places-Fans machen das trotzdem.Martin Amanshauser
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Storys aus der Reisewelt (297). Diesmal: der Lost-Places-Tourismus, das YouTube des Niedergangs.

Vor Jahren verbrachte ich einige Nächte in einer ramponierten Villa am Stadtrand Coimbras. Das Besondere daran war die Mischung aus Verfall und Luxus. Abgesehen von einer Katzenfamilie waren wir die ersten Gäste seit gut zwanzig Jahren. Den Weg hatten wir uns durch Gestrüpp gebahnt, die Eingangstür problemlos aufgebrochen. So standen wir in einem Foyer mit imposantem Treppenaufgang und bald in einem Salon im ersten Stock. Klar bot die Villa kein Frühstücksbuffet, doch wie fantastisch war das Gefühl, im Schlafsack ­morgens von der aufgehenden Sonne gestreichelt zu werden und auf den herrschaftlichen Balkon hinauszutreten. Im Garten kämpften die Katzen.

An meine Nächte in Coimbra musste ich wegen Matthias Schwarzers YouTube-Kanal denken. Der 1986 geborene Journalist und Videoblogger reist nicht nur zu Drehorten von „Notting Hill“ oder „E.T.“, sondern betreibt auch Lost-Places-Journalismus, indem er etwa das Geisterdorf Doel im Hafen Antwerpens aufsucht, das einer Hafenerweiterung zum Opfer fiel, die letztlich nie statt­fand.

Eine der eindrücklichsten Episoden: Schwarzer wandert in ein „totes“, verlassenes Dorf in der Eifel namens Wollseifen. Tragische Geschichte, im „Dritten Reich“ befand sich das Ackerbau- und Köhlereidorf nahe der NS-Ordensburg Vogelsang, in der „Führernachwuchs“ ausgebildet wurde. Für zivile Beschäftigte der bizarren Festung errichtete das Regime Wohnhäuser in Wollseifen. Im August 1946 ließ die ­britische Besatzung das 500-Einwohner-Dorf räumen, um es fortan als ­Truppenübungsplatz zu verwenden. Während die Bewohner vergebens um Flüchtlingsstatus kämpften, wurden ihre Häuser beschossen, abgerissen und durch Attrappen ersetzt, an denen „Häuserkampf“ geübt wurde. Über sechzig Jahre lang lag ­Wollseifen im (seit 1950 dann belgischen) Sperrgebiet, nun liegt es an der Kreuzung von Wanderwegen des ­Nationalparks.

Indoor übernachten? Schwer möglich. Denn Unternehmungen wie meine in Coimbra laufen heute unter „Vandalismus“. Die Videos von Matthias Schwarzer sind grundsolide, grundfeig, sie ­stacheln zu nichts an. Ganz anders als meine Texte.

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