Oper und Clubbing

„Stoßt an! Stoßt an!“: So geht man bei einem Klassik-Rave zu Strauß und Puccini ab

„Stoßt an!“ 
Lässt es sich feiern 
zu Opernarien und Klassik-Gassenhauern? Durchaus, zeigen die „Klassik2go Raves“ im Club Praterstrasse im zweiten Bezirk.
„Stoßt an!“ Lässt es sich feiern zu Opernarien und Klassik-Gassenhauern? Durchaus, zeigen die „Klassik2go Raves“ im Club Praterstrasse im zweiten Bezirk. Klassik2go
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Eine Partynacht zu Opernarien: Kann das funktionieren? Beim „Klassik2go Rave“ im Club Praterstrasse trifft klassische Musik auf Clubkultur. Ein Besuch.

Ein Geigenbogen bahnt sich einen Weg durch die Menschenmenge. Dicht an dicht stehen die Besucher des Wiener Clubs Praterstrasse an diesem Mittwochabend auf der Tanzfläche – kein unüblicher Zustand hier. Eher außergewöhnlich für die Location ist, dass auf der Bühne nun ein kleines Ensemble seine Instrumente stimmt. „Ich glaub’, ich hab den Club noch nie so hell gesehen. Und die Klos noch nie so sauber“, sagt eine gut gelaunte Besucherin in der ersten Reihe. Sie und ihre Freundin waren schon oft hier, an Wochenenden betreiben sie regelmäßig, wie sie es nennen, „Eskalation“. Soll heißen: Party im rauschhaften, tanzwütigen, ausgelassenen Sinn. Heute sind sie vor allem neugierig: Kann das auch mit klassischer Musik funktionieren?

„Klassik2go Rave“ nennt sich die Veranstaltung, die sie hergelockt hat. Sie verspricht eine Vermählung zweier Welten, die ansonsten wenig Berührungspunkte haben: Oper und Clubkultur. Die Verheißung: Hier kann man klassische Musik in Partyatmosphäre erleben. Kein Dresscode, keine verschlossenen Türen nach Konzertbeginn. Trinken, tanzen, mitsingen – alles ausdrücklich erlaubt. Zwei Konzertteile stehen auf dem Programm, dann legt eine DJane auf. Und auch wenn das Wort Rave wohl ekstatischere Vorstellungen weckt, als das Klassik-Clubbing einzulösen vermag: Das Konzept scheint aufzugehen.

Nach einer einleitenden Schnellpolka von Johann Strauß, die noch verhaltenes Mitwippen auslöst, sorgen die Auftritte der jungen Sängerinnen und Sänger – die meisten sind Studenten und stehen am Anfang ihrer Karriere – bald für vergnügten Jubel. „Meine Lippen, sie küssen so heiß“, schmachtet die Sopranistin Arielle Jeon und wirft Blumen in die Menge. Es folgen mehr oder wenige bekannte Arien und Gassenhauer. Beim Volkslied „Funiculì, Funiculà“ singen einige im Publikum mit; die nicht so Textsicheren entlässt der sonore Bass Fabian-Jakob Balkhausen immerhin mit einem Ohrwurm in die Pause.

Maayan Licht und Arielle Jeon.
Maayan Licht und Arielle Jeon.Klassik2go

In einem Nachtclub zu singen statt auf der klassischen Konzertbühne sei „zu 150 Prozent anders“, sagt er. „Das geht damit los, dass man sich durch eine feierwütige Menge zur Bühne drängen muss.“ Ihn freut, dass viele gekommen sind, die von klassischer Musik keine Ahnung haben: „Und wenn es ihnen gefällt, rasten sie völlig aus. Man erinnert sich da sehr an den Unterhaltungswert von dem, was wir da machen.“ Schwierig sei nur die Akustik im Saal, die so gar nicht sängerfreundlich sei: „Man muss aufpassen, dass man nicht anfängt zu schreien.“

„Wir nehmen diese Arien und machen sie ein bisschen unanständiger“

Auch der israelische Countertenor Maayan Licht genießt es, sein Repertoire – diesmal zwei Arien aus Händels „Xerxes“ – vor Nachtschwärmern zu performen. „Ich liebe das Partymachen ja selbst. Wir nehmen diese Arien und machen sie ein bisschen unanständiger, ein bisschen lustiger. Und ich liebe es, dass man hier während des Singens Reaktionen bekommt. Das führt uns auch zurück in die Barockzeit!“

Hinter dem Klassik-Rave steckt Ossi Schellmann. Der umtriebige Wiener Gastronom – er hat 1980 etwa das U4 eröffnet – hat damit ein neues Herzensprojekt. „Wir haben in Wien ein großartiges Angebot an Opern- und Konzerthäusern. Was es weniger gibt, ist ein entspannterer Zugang. Das sieht man am Durchschnittsalter in der Oper und im Musikverein. Dort komme ich mir jung vor!“ Schellmann ist Jahrgang 1956. Unter dem Label Klassik2go begann er im Sommer, Konzerte im öffentlichen Raum zu veranstalten, im Herbst folgte der erste Rave. Nun fand der vierte statt. Für den nächsten müssen Interessierte bis Oktober warten. Denn: Ein finanzieller Erfolg ist das Projekt (noch) nicht. „Bis jetzt finanziere ich alles selbst.“

Das Programm und die Interpreten lässt Schellmann von Mathias Kawka-Rona zusammenstellen, der Kontrabassist beim Tonkünstler-Orchester und Inhaber einer Musikagentur ist. Er achtet auf eine niederschwellige Mischung – und setzt auf Stücke mit Wiedererkennungswert. Die Arie der Lauretta aus der Puccini-Oper „Gianni Schicchi“ oder „La donna è mobile“ aus Verdis „Rigoletto“ ist den meisten Besuchern wohl zumindest klanglich bekannt.

Die fünf Sängerinnen und Sänger des Abends: Aaron McInnis, Maayan Licht, Arielle Yeon, Fabian Balkhausen, Andjela Spaics.
Die fünf Sängerinnen und Sänger des Abends: Aaron McInnis, Maayan Licht, Arielle Yeon, Fabian Balkhausen, Andjela Spaics.Klassik2go

Klassik und Clubbing – anderswo hat sich diese Melange bereits bewährt. In London und New York etablierten sich solche Reihen schon vor Jahren. Die Deutsche Oper Berlin hat ihr Haus für Techno-Abende geöffnet. Maayan Licht ist Teil des Amsterdamer Projekts „Technopera“, das einen Schritt weiter geht und die musikalischen Pole vermischt: „Da singe ich wirklich zum Techno-Beat.“

Trinklieder gibt‘s in der Klassik genug

Dass hier in der Praterstraße die Klassik und die Beats „nur“ hintereinander erklingen, ist denn auch ein Wermutstropfen für einige im Publikum, die sich eine stärkere Verbindung erhofft hatten. Ganz klassikfern sind viele von ihnen nicht: Zwei junge Männer, die via Instagram auf die Raves aufmerksam wurden, arbeiten als Opernregisseure. Ein anderer Gast beschreibt sich als Party-Fan mit Klassik-Faible – und ist ganz entzückt darüber, zwei Arien seines Lieblingskomponisten Händel gehört zu haben.

Die jungen Frauen aus der ersten Reihe haben sich an der Bar inzwischen Shots geholt. Man kann nicht sagen, dass die Musik sie entmutigt hätte. Mit „Libiamo“ aus „La Traviata“ und „Im Feuerstrom der Reben“ aus der „Fledermaus“ waren immerhin zwei explizite Trinklieder mit deutlicher Botschaft im Programm: „Stoßt an! Stoßt an! Stoßt an!“

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