Stadtentwicklung

Von Wild im West bis Nordbahnhalle: Wenn im Dazwischen die Kreativität keimt

Eine alte Schule in Margareten wurde erfolgreich wiederbelebt. Dort entsteht jetzt ein Creative Cluster.
Eine alte Schule in Margareten wurde erfolgreich wiederbelebt. Dort entsteht jetzt ein Creative Cluster.Florian Mair
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Zwischennutzung heißt das Zauberwort, um marode Fabriken, alte Schulen oder kaputte Spitäler vor der Sanierung oder dem Abriss wiederzubeleben. Aktuelle Beispiele aus Wien.

David Kreytenberg ist Umzugsprofi: Mit „Wild im West“, einer kulturellen und gastronomischen Freiluft-Bespaßung, übersiedelt der Kreativunternehmer nach Osten: Neu Marx. Zuvor gastierte er auf dem Gelände des ehemaligen Sophienspitals, dann in einer Baulücke der Äußeren Mariahilfer Straße. Auf der Betonbrache in Wien Erdberg findet nun jeden Sonntag ein Flohmarkt statt. Auch eine Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt ist vor Ort. Später soll hier die Wien-Holding-Arena entstehen. Platz ist ja vorhanden auf dem 10.000 Quadratmeter großen Areal eines ehemaligen Schlachthofs, wo das urbane Konzept der Zwischennutzung erprobt wird.

Das Modell: Kunstschaffende, Kulturvereine, EPU und Start-ups auf vorübergehend ungenutzten Flächen zu beherbergen. Obdach wird für einige Monate bis Jahre gewährt, mit günstigen Mieten oder aber Verträgen, die nur die Übernahme der Betriebskosten vorsehen.

Klimaforschung in Ottakring und Liesing

Gute Bedingungen für das Umsetzten von Ideen also: Bei einem Projekt der Garage Grande in Wien Ottakring wurde die Fassade mit robusten Pflanzen begrünt, zur Erforschung ihres Einflusses auf das Stadtklima. Daneben gibt es Tanz- und Yogagruppen, eine Architekturschule. Auch in der ehemaligen Fassfabrik in Wien Liesing erforscht man Techniken gegen den Klimawandel – in einem Projekt der Strabag und der TU Wien.

»Sie sorgen für die Belebung von Vierteln, ein Miteinander unterschiedlicher Nutzer und geben neue Impulse für Nachbarschaften.«

Iris Kaltenegger

Architektin

Architektin Iris Kaltenegger, Gründerin von Open House Wien und Generalsekretärin der Wohn- und Städtebau-Initiative Europan Austria, sieht in solchen Zwischennutzungsprojekten viele Vorteile: „Sie sorgen für die Belebung von Vierteln, ein Miteinander unterschiedlicher Nutzer und geben neue Impulse für Nachbarschaften.“ Auf Zeit genutzte Räume und Flächen sind die Spielwiese für Vernetzer und Experimentierfreudige, auch wenn sie ein Ablaufdatum hat. Und eine wichtige Ressource der Zukunft, mit Blick auf die Verknappung von Baumaterial. Kaltenegger: „Weil nicht neu gebaut werden muss, zeigen sie das Potenzial der Bestandsstadt.“

Nordbahnhalle: Ein Café mit Friseur

Die lange Phase, in der Bauherren auf Bescheide für die Sanierung oder den Abriss warten, ist der ideale Zeitpunkt, das Terrain zwischenzunutzen. Die ehemalige Nordbahnhalle in Wien Leopoldstadt wurde beispielsweise mit dem Fokus Gewerbe bespielt: Friseure teilten sich mit einem Café die Fläche. Durch die parallele Entwicklung des Nordbahnviertels wurde ein planerischer Kardinalfehler vermieden: dass Kurzzeitmieter nach Ablauf der Verträge heimatlos sind. Nach dem Brand der Halle siedelten viele ins gleichnamige Quartier um.

»Es gibt einen hohen Bedarf an leistbaren Flächen. Und viele Gebäude bieten Potenzial für Leerstandsaktivierungen. Aber es existiert aktuell oft noch zu wenig Bereitschaft von Eigentümern, solche Projekte zu ermöglichen.“ «

Katharina Egg

Sprecherin „Kreative Räume Wien“

Offizielle Zahlen über die für Zwischennutzung geeigneten Flächen oder Gebäude existieren aktuell nicht – eine Parallele zum politisch umkämpften Wohnungsleerstand. Katharina Egg, Sprecherin der auf Zwischennutzung spezialisierten „Kreative Räume Wien“, einer Servicestelle im Auftrag der Stadt: „Es gibt einen hohen Bedarf an leistbaren Flächen. Und viele Gebäude bieten Potenzial für Leerstandsaktivierungen oder temporäre Nutzungen. Aber es existiert aktuell oft noch zu wenig Bereitschaft von Eigentümern, solche Projekte zu ermöglichen.“

Natürlich müssen die Bedingungen stimmen: Taugt das Gebäude oder die Fläche? Wer übernimmt die Kosten für eine Adaption oder Nutzbarmachung? All das muss laut Egg im Vorfeld geregelt werden. Erfolgreich wiederbelebt wurde eine alte Schule in Wien Margareten – sie erfüllte die Auflagen für den Unterrichtsbetrieb nicht mehr. Nun wächst auf 3600 Quadratmetern ein „Creative Cluster“: mit 140 Kreativen aus Kunst, Design und Architektur. 

20 Prozent Potenzial in Wien

Architekt Fabian Wallmüller, stellvertretender Vorstand der IG Architektur, hat den für eine mögliche Zwischennutzung geeigneten Leerstand in der Wiener Gumpendorfer Straße selbst erhoben – bei einem Spaziergang: „Ich kam auf circa 20 Prozent. Für ganz Wien schätze ich zehn bis 20 Prozent.“ Beste Voraussetzungen haben Gründerzeitbauten: „Sie müssen – im Unterschied zu Neubauten – keinen Gewinn mehr erwirtschaften, sind abbezahlt und somit leistbarer.“ Doch der Profi für Leerstandsaktivierung schlägt auch kritische Töne an: „Wenn sich durch Zwischennutzungen Start-ups ansiedeln und eine neue Klientel mitbringen, setzt das oft die problematische Gentrifizierung in Gang: Mieten werden durch die Aufwertung teurer und Kreative erst wieder verdrängt.“

»Wenn sich durch Zwischennutzungen Start-ups ansiedeln und eine neue Klientel mitbringen, setzt das oft die problematische Gentrifizierung in Gang: Mieten werden durch die Aufwertung teurer und Kreative erst wieder verdrängt.«

Fabian Wallmüller

Stv. Vorstand „IG Architektur“

Dennoch: Eine Nutzung leerer Räume auf Zeit kann durchaus sinnvoll sein. Die IG Architektur selbst gleicht etwa im Projekt „Ateliers on Demand“ das Fehlen von Zeichensälen für Architektur-Studierende in Wien aus und überlässt ihnen leer stehende Arbeitsplätze in Architekturbüros – temporär, ohne Gegenleistung und kostenlos. Ein Vorteil für beide Seiten: „Aus der gegenseitiger Vernetzung entstehen Knowhow-Transfer und die Möglichkeit einer künftigen Zusammenarbeit.“

Weitere Projekte

In der Semmelweisklinik im 18. Bezirk entstand ein Kunst- und Kulturzentrum, der Lido in Ottakring, ein aufgelassener Gewerbehof, ist ein „Strand des ungeplanten Miteinanders“. Auch das Echo Correspondence in Döbling bietet Residencies und Ateliers an, Galerie und Shared Space ist das Design in Gesellschaft im 20. Bezirk. Was viele nicht wissen: Auch das Fluc (2. Bezirk) ist ein Zwischennutzungsprojekt. Alle live zu erleben beim 10-Jahres-Jubiläum von OPEN HOUSE WIEN am 14. und 15. September.

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